Digital Humanities

Digital Humanities 2040 – wo wollen wir hin?

Ok, ich geb‘s gleich von Vornherein zu: dies wird ein „I have a dream“-Beitrag. Ich möchte dir meine Vision der Digital Humanities 2040 zeigen. Ganz unrealistisch und frei jeden Anspruchs auf Umsetzbarkeit, denn es gibt so Dinge, an die muss man erst einmal als unmöglich denken, damit man sie dann als möglich definieren kann. Ganz wie Alice im Wunderland es tun würde. Oder vielleicht, für die Rebellischen unter uns, wie Che Guevara es formulierte: Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche! Übrigens ist dieser Beitrag Teil einer Blogparade, die Andreas vom Methodos-Blog begonnen hat. Schau dir also unbedingt seine Szenarios der DH 2040 an. Dann liest du am besten gleich bei Frederik von A belter’s life weiter. Damit du auch wirklich umfassend informiert bist, musst du natürlich auch noch Stefans Darstellungen auf dem InFoDiTex-Blog lesen. Und dann komm bitte zurück zu mir, ja? ; )

Was sind Digital Humanities für mich heute?

Digitale Geisteswissenschaften haben keine feste Definition und darum viele Gesichter. Manche mögen darin eine eigene Disziplin sehen, manche eine Hilfswissenschaft. Von Zeit zu Zeit erfindet man neue Namen so wie eHumanities zum Beispiel. Für mich bedeutet das Selbstverständnis als Digital Humanista drei Dinge. Auf sachlicher Ebene heißt es, dass ich für meine literaturwissenschaftliche Forschung digitale Tools nutze. Dazu gehört Software, mit der ich Figurennamen in einem Text automatisch erkennen lassen kann. Oder ich nutze Tools zur Gruppierung von Werken nach bestimmten Eigenschaften wie z.B. ihren Autoren. Oft nutze ich auch Applikationen, um meine Anmerkungen und Anstreichungen digital zu erfassen und dann ausrechnen zu lassen, wie viel ich zu einem bestimmten Thema „gemarkert“ habe.

Digital forschen und das in der Literaturwissenschaft

Das ist aber noch nicht alles. Ich versuche auch, meine Forschung mit digitaler Hilfe transparenter zu machen. Zum Beispiel, indem ich Open Access veröffentliche oder blogge. Und ich arbeite immer daran, meine Lehrveranstaltungen sinnvoll mit digitalen Methoden zu ergänzen, wie z.B. mit der DH-Challenge. Insgesamt durchdringt das Digitale also meine gesamte literaturwissenschaftliche Arbeit. Je länger ich im Bereich DH tätig bin, desto mehr merke ich aber, dass der eigentliche Kern meiner Faszination dafür nicht Tools und Methoden, sondern Denkmodelle sind. Die Arbeit mit den Tools (und Methoden) ermöglicht mir, eine neue Perspektive auf Literatur einzunehmen. Diese Perpektive ist je nach Methode natürlich eine andere. Aber alle sind abstrakt, komplex und enthalten ein Fünkchen mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkens.

Was sind digitale Geisteswissenschaften heute und wo werden die Digital Humanities 2040 sein? Alles darüber und auch, warum die digitalen Methoden so einen Spaß machen, erfährst du hier.

#digitalhumanities #literaturwissenschaft

Zum Beispiel Netzwerkanalyse. Die kann man zwar auch einfach so manuell und ohne Computer durchführen, aber digitale Tools haben einen großen Vorteil, sie können Simulationen durchführen. Du hast also z.B. ein Netzwerk aus Figuren und deren Verbindungen zueinander. Und dann übersetzt das Toll diese in physikalische Größen. Figuren werden zu Magneten, Verbindungen zu Federn. Wir bekommen eine Spannungssituation aus Anziehungskräften und auseinander drückenden Kräften. Ziel der Simulation ist es, ein Gleichgewicht zu finden. Solche Simulationen, Berechnungen und Modelle sind es, die mich faszinieren, weil sie den Dualismus zwischen Geistes-/Sozialwissenschaften und Naturwissenschaften in Frage stellen.

Zusammen sind wir weniger allein

Und damit sind wir beim dritten Aspekt, der für mich essentiell zu den DH gehört, der Interdisziplinarität. Nicht nur dass theoretische Modelle aus anderen Fächern übernommen werden können, nein Kooperation auf menschlicher Ebene ist unumgänglich. Digital Humanities Forschung allein durchzuführen, ist für mich ein Widerspruch in sich. In der Digital Humanities Community ist wenig so klar wie die Einsicht, dass man gemeinsam einfach weiter kommt als allein. Expertisen sind da, um andere Expertisen zu ergänzen. Dazu gehört allerdings auch, dass man sich untereinander versteht, was manchmal gar nicht so einfach ist, weil jeder ja so sein Fach-Chinesisch mit sich herum trägt.

Das goldene Land?

Klingt alles eigentlich schon ganz fantastisch, oder? Ja wie kann man dann noch eine Vision für 2040 haben. Naja, die Digital Humanities haben in meinen Augen EIN großes Problem und das ist die Anerkennung in den geisteswissenschaftlichen Fachcommunities. Manche haben vielleicht noch ein Lächeln für diese Nerd-Vereinigung übrig, andere fühlen sich von den cool Kids on the Block mit ihren potentiell schillernden digitalen Assets vielleicht ein wenig bedroht. Wieder andere ignorieren den vermeintlich vorüber gehenden Trend. Und natürlich gibt es auch offene Anfeindungen. Grund: Die Forschungsergebnisse in den Digital Humanities sind nicht relevant genug für die geisteswissenschaftlichen Fächer.

Und tatsächlich sind die DH zumindest zum Teil noch „under construction“. Methoden werden noch adaptiert, entwickelt und verbessert. Dabei wird die eine oder andere These der Geisteswissenschaften validiert, meistens aber erstmal die Methode getestet. Manchmal mit negativem Ergebnis. Dann müssen wir noch eine extra Runde drehen, die Methode noch einmal verfeinern. Aber, wie ich in meiner Rezension zu Ted Underwoods Distant Horizons schon geschrieben habe, die ersten relevanten Einsichten kommen nun ans Licht. Wenn Methode und Theorie sinnvoll miteinander verbunden werden, wie Underwood das tut, können wir tatsächlich schon neue Erkenntnisse gewinnen. Und damit kommen wir also zu dem, was 2040 sein wird.

Digital Humanities 2040

Ich schreibe dies übrigens gerade zurück kehrend von einer DH-Summerschool, bei der ich einen Workshop unterrichtet habe. Und diese Erfahrung hat mich mal wieder in einer Ahnung zur Zukunft der DH bestärkt. Ja, ich glaube wirklich, dass die Digital Humanities 2040 den „traditionellen“ Geisteswissenschaften ganz schlicht und einfach einen Großteil des Nachwuchses abgegraben haben werden. Denn das Methodenspektrum der DH hat inzwischen viel zu bieten. Von close über scalable zu distant reading kann jede Vorliebe eines jungen Wissenschaftlers digital unterstützt werden. Viele Tools habe inzwischen grafische User Interfaces und mehr werden folgen. Die Einstiegshürden werden also immer niedriger. Damit werden die DH aber vielleicht auch ein weniger exklusiver Club als sie jetzt sind. Vielleicht reagiert der ein oder andere DH-Forscher sogar mit neuen Abgrenzungswünschen. Vielleicht wird es neue Begriffe und dazu gehörige Subgruppen der DH geben. Auf jeden Fall werden die neuen jungen Geisteswissenschaftler, die das Boot betreten, eine Reihe mehr oder weniger traditioneller Theorien mitbringen. Auf den Konferenzen wird es stärker um Inhalte und Reflexionen gehen und weniger um Methoden.

Aber halt! Sind wir dann am Ende nicht wieder weg von Digital Humanities 2040 und zurück zu traditionelleren Geisteswissenschaften gekommen? Ja, es wird wahrscheinlich eine gewisse Nivellierung geben. Doch die Geisteswissenschaften werden sich trotzdem verändert haben. Sie werden weniger scharf von den Naturwissenschaften abgegrenzt sein. Sie werden hipper, bunter, spaßiger sein (is ja klar 😉 ). Und, was das Wichtigste ist, sie werden sehr viel offener sein für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Kooperationen werden immer wichtiger werden und niemand wird mehr allein in seinem Elfenbeinturm sitzen. Das einzige, wovor ich wirklich Angst habe ist, dass sich bei der Flut geisteswissenschaftlicher Nachwuchsforscher irgendwann nicht mehr genügend Informatiker finden, die bereit sind, an Universitäten zu arbeiten. Aber das ist vielleicht schon ein neues Thema.

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