Wie erschafft man eine Ikone? Eine, die das genau weiß und wie kein Zweiter umsetzt ist die Biografin Michaela Karl. Was eine Ikone ist und was dazu gehört, eine x-beliebige Schriftstellerin zu einer solchen zu machen, darum geht es heute bei Kultur im Buch. #Kultur #Buch #Literatur #Wissenschaft
Kultur im Buch

Wie man eine Ikone erschafft

Hast du schon einmal von Maeve Brennan gehört? Hatte ich auch nicht. Bis ich Michaela Karls “Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen” gelesen habe. Jetzt habe ich das Gefühl, dass sie DIE Ikone im New York der 30er Jahre war. Und ich frage mich, wie schafft diese Autorin es bloß, eine Schriftstellerin von einem persönlichen Nobody zu einer persönlichen Heldin zu machen?

Was ist eine Ikone?

Aber erst einmal, wie gewohnt, der Schritt zurück zu der Frage, was hier eigentlich mit dem Begriff Ikone gemeint ist. Eine Ikone kann ja im religiösen Sinne ein Kultbild, meistens eine Heilgen-Malerei sein. Das meine ich hier aber natürlich nicht. Mit Ikone kann man auch eine Person meinen, die für bestimmte Werte oder ein bestimmtes Lebensgefühl steht. Ganz, ganz häufig wird der Begriff im Zusammenhang mit der Modewelt verwendet. Vor allem Frauen mit einem herausragenden Stilgefühl werden gerne als Ikone bezeichnet, manchmal auch als Mode-Ikone oder Stil-Ikone. Ich persönlich mag den Begriff am liebsten, wenn er eine Personifikation einer bestimmten Art zu leben meint.

Wie erschafft man eine Ikone? Eine, die das genau weiß und wie kein Zweiter umsetzt ist die Biografin Michaela Karl. Was eine Ikone ist und was dazu gehört, eine x-beliebige Schriftstellerin zu einer solchen zu machen, darum geht es heute bei Kultur im Buch. #Kultur #Buch #Literatur #Wissenschaft

Maeve Brennan, die Ikone mit dem Lippenstift

Es ist ja nicht das erste Mal, dass Michaela Karl es schafft, eine Biografie zu schreiben, die sich von anderen komplett abhebt. “Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber”, “Wir brechen die 10 Gebote und uns den Hals” und jetzt eben “Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen”. Warum zähle ich ihre Titel hier einfach auf? Weil sofort klar ist, was der erste Schritt ist, um aus einer Literaturperson eine Ikone zu machen. Man muss ihre Lebenseinstellung in einem Satz zusammen fassen. Dieser Satz ist dann der Titel der Biografie. Und der muss Programmatisch sein. Ein Buch mit dem Titel: “das unbeständige Leben der Maeve Brennan” hätte ich niemals gelesen. Schließlich wusste ich ja noch nicht einmal wer sie war. Aber eine Frau, die bestimmte Texte nicht ohne Lippenstift liest, ist interessant. Weil sie anders ist. Etwas Besonderes. Eine, über die es sich zu lesen lohnt. Und ich muss sagen, ich wurde kein bisschen enttäuscht.

Noch mehr Kultur-Glamour

Wem das noch nicht reicht, um zu diesem Buch zu greifen, der bekommt noch mehr. Denn eine Ikone wäre wohl keine, wenn sie nicht ihren Fußabdruck in unserer Kultur hinterlassen hätte. Also zeigt Michaela Karl in sorgsam eingestreuten Andeutungen, dass Maeve Brennan und Audrey Hepburn in “Frühstück bei Tiffanys” eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen. Und, mal ehrlich, wer ist die größte literarische und cineastische Ikone ever? Ganz klar Holly Golightly, oder?

Schwamm drüber, dass Truman Capote als Schriftsteller von “Frühstück bei Tiffanys” eigentlich Marilyn Monroe ideal für die Rolle fand. Was zählt ist, dass Maeve Brennan zu seinen Bekannten gehörte und wohl eines von vielen Vorbildern der literarischen Figur war. Und fürwahr, sie sah Audrey Hepburn ja wirklich ähnlich. Dieses geschickte betonen von einigen Fakten gegenüber anderen ist wirklich bewundernswert, denn natürlich liest man Maeve Brennans Geschichte ein wenig durch die Frühstück-bei-Tiffanys-Brille, wenn man einmal gehört hat, dass sie vielleicht die wahre Holly Golightly war.

Wieso Maeve Brennan zur Ikone machen?

Ich lege hier einfach mal die Karten auf den Tisch: Ich finde es total richtig, Schriftstellerinnen auf diese Weise zur Ikone zu stilisieren. Denn wir haben doch ganz klar in der Literaturwissenschaft ein Frauenproblem und das schlägt sich bis in die Gesellschaft durch. Wie viele berühmte Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts fallen dir spontan ein? Gegenprobe: Wie viele Schriftsteller aus dieser Zeit kennst du? Ja, Dichter werden immer noch mehr wahrgenommen als Dichterinnen und sie haben eine größere Chance im Kanon zu landen. Das gilt auch für Gegenwartsliteratur. Aber ich will nicht abschweifen, der literarische Kanon ist ein anderes Thema. Zurück zu Maeve Brennan.

Maeve Brennan war eine irischstämmige Schriftstellerin, die in New York lebte. Sie fing bei Harper’s Bazaar als Mode-Journalistin an und schrieb später Kurzgeschichten für den New Yorker. Ihr Leben war unstet, sie zog von Wohnung zu Wohnung oder schlief in Hotels. Sie war die meiste Zeit Single. Außerdem war sie Alkoholikerin und starb vereinsamt und verwirrt auf der Straße. Glamouröser Anfang, schrecklicher Abgang. Aber Manuela Karl schafft es, sie in ihrer Biografie nie einseitig darzustellen. Niemals verliert sie die Achtung vor dieser Person, die so unabhängig war und sich so ungern helfen ließ, dass sie später sogar in Einsamkeit sterben musste.

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Der New Yorker

Ein ganz zentraler Punkt des Ikonen-Lebens ist die Unabhängigkeit und das öffentliche Ansehen. Für Maeve Brennan wurde beides durch ihre Arbeit beim New Yorker garantiert. Die große, gut angesehene Zeitung mit den berühmten Journalisten und Schriftstellern steht ja geradezu mit ihrem Namen für das Lebensgefühl der New Yorker. Und auch Maeve Brennan war so sehr New Yorkerin. Sie liebte die Stadt und ließ sich von nichts und niemandem die Unabhängigkeit nehmen; das ging natürlich nur deshalb so gut, weil der New Yorker sie bezahlte, wenn sie schrieb und ebenso wenn sie nicht schrieb.

Ob der New Yorker nun berühmte Leute anstellte und sie mit all ihren Macken akzeptierte oder ob die Zeitung selbst dazu beitrug, dass ihre Angestellten bestimmte, eher ungewöhnliche Routinen entwickelten, weiß natürlich keiner. Schon bei der Dorothy-Parker -Biografie von Michaela Karl hatte ich das Gefühl, dass das durch die Stadt streifen und vor allem das Martini trinken ein wesentlicher Teil der schriftstellerischen Arbeit war. Denn Martini wurde anscheinend immer und überall getrunken. An runden Tischen und bei Parties trank man anscheinend ebenso viel wie allein in einer Bar. Wenn man sich so eine Lebensrealität vorstellt, fühlt sich das mehr als nur ein bisschen tragikomisch an. Aber in ihren Biografien lässt Michaela Karl das nicht zu. Hier steht die Individualität, die Freiheit und die spitze Feder im Vordergrund. Wer nicht besonders ist und keine Macken hat, kann eben auch keine Ikone sein.

Ikonen statt Musen

Vor nicht allzu langer Zeit habe ich mich schon einmal ausführlich darüber ausgelassen, warum ich es so schlimm finde, dass wir hierzulande berühmte Frauen so gerne als Musen bezeichnen. Aber erst wenn man sich den Gegenentwurf der Ikone genauer anschaut, wird vollends klar, warum es so viel erstrebenswerter ist, eine Ikone zu sein als eine Muse. Musen sind nur in Abhängigkeit anderer Künstler interessant. Ikonen aber leben für sich, sind unabhängig und frei.

Hand aufs Herz, ich glaube nicht, dass sich das Leben der Frauen, die hier als Musen bezeichnet werden stark von dem unterscheidet, welches andernorts von Ikonen gelebt wird. Nehmen wir z.B. noch einmal Lou Andreas-Salomé, von der ja schon im oben bereits erwähnten Musen-Artikel die Rede war und deren Texte ich schon stilometrisch mit denen Nietzsches [Link einfügen] verglichen habe. Sie war eine Frau mit starkem Freiheitsdrang, ließ sich von niemandem vorschreiben, wie sie ihr Leben zu leben hatte. Sie war Schriftstellerin und Theoretikerin mit einem Hang zu berühmten Liebhabern. Kurz gesagt, sie stand mindestens ebenso sehr für ein unabhängiges Lebensgefühl wie Maeve Brennan. Trotzdem sehen viele in ihr nur die Muse anderer. Auch Maeve Brennan liebte einige berühmte Kollegen und war auch eine Zeit lang mit einem verheiratet. Doch spätestens seit Michaela Karls „Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen“, würde niemand sie als deren Muse bezeichnen.

Wenn ich doch nur so schreiben könnte…

Damit sind wir bei der herausragendsten Fähigkeit dieser Schriftstellerin. Und damit meine ich jetzt Michaela Karl und nicht Maeve Brennan. Sie stellt Menschen in ihrem individuellen Lebensgefühl dar. Übrigens macht sie das auch nicht nur mit Frauen. In „Wir brechen die zehn Gebote und uns den Hals“ stellt sie sowohl Zelda als auch Scott Fitzgerald dar und zwar jeweils in ihrer Individualität. Keine Andeutung davon, dass Zelda seine Muse gewesen sein könnte. Nein, auch sie eine Ikone. Dabei hat sie noch nicht einmal ein umfangreiches schöpferisches Werk hinterlassen.

Davon bräuchten wir mehr! Vor allem von Biograf*innen, die weibliche Persönlichkeiten unabhängig von männlichen darstellen. Nämlich in ihrer Individualität und Unabhängigkeit. Damit wir alle sie besser wertschätzen können. Damit wir sie in den Kanon holen oder zumindest nicht vergessen. Und ich finde tatsächlich, dass auf diese Weise eben auch gezeigt werden kann, dass alternative Lebensentwürfe stets möglich waren, dass man sie nur für sich persönlich suchen muss. Allein damit es mehr solche Biografien von Schriftstellerinnen gäbe, wünschte ich mir, ich könnte auch so schreiben wie Michaela Karl. Hut ab!

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