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Buch-Tipp: „Dora und der Minotaurus“ von Slavenka Drakulic

Bücher über Musen und Künstlerinnen gibt es viele. So viele, dass ich das Bedürfnis verspüre, einen eigenen Blogpost zu dem Thema zu schreiben. Aber „Dora und der Minotaurus“ ist definitiv einen Buch-Tipp wert. Denn es zeigt nicht nur den goldenen Schimmer des Ruhms, sondern erzählt eine Geschichte des Verfalls. Und das ohne reißerisch zu sein, in eindrücklicher Sprache. Ein rundum schönes, kleines Stück zeitgenössischer Literatur!

Dora Maar – wer war das eigentlich?

Ich hatte von der Künstlerin Dora Maar noch nichts gehört, bevor ich dieses Buch – zugegebener Maßen im Sonderangebot – gekauft habe. Ich wusste nicht, dass sie eine Muse Picassos war, die selbst als surrealistische Fotografin großes Talent gezeigt hat. Ein Beispiel ihrer Fotokunst ist das Bild eines Gürteltier-Emryos mit dem Titel „Père Ubu“. Mir war auch nicht bekannt, dass Picasso unzählige Porträts von ihr erstellt hat, von denen viele eine weinende Frau zeigen. Ja, mir war nicht einmal klar, dass sie die Entstehung von „Guernica“ fotografisch dokumentiert hat. Aber all das wird natürlich in meinem heutigen Buch-Tipp „Dora und der Minotaurus“ erzählt. Und einer der schönsten Effekte an der Lektüre dieses Buches ist, dass man ständig das Bedürfnis hat, die Bilder zu sehen von denen die Rede ist.

"Dora und der Minotaurus" von Slavenka Draculic ist ein Buch, das zu lesen nicht unbedingt Spaß macht. Warum es für mich trotzdem ein Buch-Tipp ist, erfährst du hier.
„Dora und der Minotaurus“ von Slavenka Draculic ist ein Buch, das zu lesen nicht unbedingt Spaß macht. Warum du es trotzdem lesen solltest, erfährst du hier.

Eine fiktive Autobiografie

Ein anderer Effekt, der mich beeindruckt hat, ist das Format. Denn die Autorin Slavenka Drakulic´ hat ihren Roman als fiktive Biografie herausgegeben. Das ist nun für die zeitgenössische Literatur nix Besonders und das hat es auch schon in früheren Epochen gegeben. Trotzdem hat es immer eine faszinierende Wirkung auf mich. Denn Drakulic´schreibt das Buch so als bestehe es aus Notizen von Dora Maar selbst. Eine fiktive Autobiografie bzw. eine Art Schreibtherapie, um sich von ihrem Picasso-Dämon zu befreien. Denn das ist der geliebte Maler, der auf fast schon komische Weise zwischen lächerlicher und göttlicher Figur schwankt, für sie. Um den Eindruck zu wahren, dass die Autorin lediglich eine Herausgeberin ist, meldet sie sich ab und zu mit einer Fußnote oder einem Kommentar zum „Manuskript“.

Von der Künstlerin zur gebrochenen Frau in wenigen Augenblicken

Schließlich ist da noch die Geschichte selbst, die Geschichte einer ziemlich gewöhnlichen Geliebten eines verheirateten Mannes mit übersteigertem Ego. Aber natürlich ist es keine gewöhnliche Liebesgeschichte, die hier erzählt wird. Es ist eben die Geschichte von einem Genie und einer stolzen Frau mit eigenen künstlerischen Ambitionen. Da wird es dann interessant. Denn der Leser lernt Dora als eine intelligente und reflektierte Frau kennen, die sich ihrer anziehenden Wirkung bewusst ist. Bei ihrer ersten Begegnung mit Picasso spielt sie ein Spiel, bei dem es einzig darum geht, ihn um den Finger zu wickeln. Sie findet ihn alt und lächerlich mit der über die Stirn gekämmten Haarsträhne.

Schon bei der nächsten Begegnung hat sich das Blatt gewendet und von da an übernimmt der berühmte Maler die Kontrolle. Die glücklichen Momente sind eigentlich gezählt. Von der unabhängigen jungen Frau, die ihren Lebensunterhalt selbst mit ihrer Fotografie bestreitet, wird sie im Handumdrehen zur Abhängigen, die Zuhause darauf wartet, dass Picasso sie zu sich bittet.

Mehr als nur eine ungewöhnliche Liebesgeschichte

Verstehen kann man das beim Lesen nicht und genau darum lässt einen diese Geschichte auch nicht los, sondern zwingt einen zum Nachdenken. Nachdenken über die Rolle der Frauen in der Kunst und das Bild der Musen. Nachdenken aber auch über die Frage, warum ein Genie eigentlich tun darf, was Picasso seinen Frauen antut, ohne dass sie ihn aufhalten. Und Nachdenken auch über die gewöhnlichen Liebesgeschichten da draußen, die nicht auf Gleichberechtigung und Achtung beruhen und trotzdem fortbestehen oder aber die psychische Gesundheit so stark gefährden können wie bei Dora Maar. Denn auch das war Dora Maar: Eine Patientin Lacans, die mit Elektroschocks behandelt wurde, nachdem sie einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte.

Warum Drakulic‘ Roman für mich ein absoluter Buch-Tipp ist

Macht es Spaß dieses Buch zu lesen? Das ist wohl kaum die richtige Frage für diesen Buch-Tipp, aber trotzdem möchte ich versuchen, sie zu beantworten. Nein, es macht nicht unbedingt Spaß, aber es ist interessant. Es ist ein Buch mit einer schönen, sachlichen und doch mächtigen Sprache und es ist ein Buch, dass einen etwas anderen Blick auf die Welt der Kunst bietet. Ein ambivalenter und gerade darum äußerst anregender Blick durch das Schlüsselloch eines bis heute unvergessenen Genies.

Daten zum Buch: Drakulic, Slavenka: Dora und der Minotaurus. Aufbau Verlag, ISBN: 9783841211538

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