Hackathons sind nur was für Nerds? Contests gewinnst du eh nie? Irrtum! Du solltest auf jeden Fall bei solcher Digital Humanities Nachwuchsförderung mitmachen. Warum du dich irrst, wenn du glaubst, ein Hackathon könne dir nichts bringen und warum teilnehmen manchmal wichtiger als siegen ist, erfährst du hier! #DigitalHumanities #Literaturwissenschaften #Academia
Digital Humanities

Rein in die Digital Humanities Nachwuchsförderung, raus aus der Komfort-Zone!

Es war im letzten Monat sehr still auf diesem Blog und das tut mir leid. Aber es gab dafür mindestens zwei gute Gründe. Ich habe mich nämlich mal so richtig aus meiner Komfort-Zone herausgewagt und an zwei Veranstaltungen teilgenommen, die man als Teil der Digital Humanities Nachwuchsförderung bezeichnen kann, denn schließlich haben beide Veranstaltungen es geschafft, ziemlich viele junge digitale Geisteswissenschaftler*innen und an Digital Humanities Interessierte zusammenzubringen und dann auch noch dazu zu motivieren, eigene Projekte zu starten. Die erste Veranstaltung war der Kultur-Hackathon „Coding Gender„, der von der Universitätsbibliothek Berlin veranstaltet wurde. Die zweite war der CorpusContest von InFoDiTex Heidelberg und dem DiscourseLab Darmstadt. Warum sich die Teilnahme an beiden so richtig gelohnt hat und warum ich dir nur empfehlen kann, solche Angebote wahrzunehmen, erfährst du im heutigen Post.

Coding Gender Berlin

Es ist ein Thema, das die Geister scheidet: Gender! Du kannst dir vorstellen, dass mich dieses Thema schon seit meinem Bachelor-Studium beschäftigt. Ja, du erinnerst dich richtig. Ich bin erst über den Umweg der Kulturwissenschaften zur Literaturwissenschaft gekommen. Und für die „KuWis“ sind Genderfragen natürlich hochrelevant. Denn es geht hier oft um kulturelle Besonderheiten und auch um Codes, die unser Verhalten bestimmen. Wie sehr ich mich darüber auslassen kann, dass Gender kulturell bedingt ist, kannst du auch in meinem Blogartikel zur Transgender-Frage nachlesen.

Hackathons sind nur was für Nerds? Contests gewinnst du eh nie? Irrtum! Du solltest auf jeden Fall bei solcher Digital Humanities Nachwuchsförderung mitmachen. Warum du dich irrst, wenn du glaubst, ein Hackathon könne dir nichts bringen und warum teilnehmen manchmal wichtiger als siegen ist, erfährst du hier! 
#DigitalHumanities #Literaturwissenschaften #Academia
Mit nettem Team in entspannter Atmosphäre kreativ sein – eine der schönsten Erinnerungen an den Coding Gender Hackathon für mich.

Aber die „Codes“, die hier gemeint sind, sind natürlich ganz andere als die, die im Titel des Kultur-Hackathon „Coding Gender“ mitschwingen. Hier geht es eher um digitale Denkmodelle und Applikationen, mit denen man etwas zum Geschlechterdiskurs beitragen kann. Oder? Nun. letztendlich geht es bei beiden Verständnissen des Wortes „Code“ ja um festgelegte Einheiten, aus denen ein repräsentatives Gebilde entsteht. So weit entfernt voneinander sind die kulturwissenschaftliche und die inforationstechnologische Perspektive also vielleicht doch nicht voneinander. Und genau das hat auch der Coding Gender Kultur-Hackathon von der Universitätsbibliothek Berlin gezeigt.

Raus aus der Komfort-Zone, rein in die Digital Humanities Nachwuchsförderung!

Als Geisteswissenschaftlerin fühlte ich mich schon etwas mehr als nur ein wenig mulmig als ich in Berlin ankam. Ich war mir nämlich alles andere als sicher, dass ich zu einem Hackathon wirklich etwas beitragen könnte. Programmieren kann ich nämlich nicht wirklich. Und das bisschen Scripten und Code-lesen, das ich mir in den letzten Jahren angeeignet habe, ist nicht weiter erwähnenswert. Aber in der Ankündigung wurde ausdrücklich auch nach kulturwissenschaftlich Interessierten gefragt. Tatsächlich sollte ich meine Teilnahme nicht bereuen.

Zunächst einmal ging es eigentlich allen so wie mir. Die Programmierer*innen kamen sich theoretisch zu wenig kompetent vor. Die Designer*innen wussten nicht, ob ihre Ansätze zu praktisch waren. Na ja, und die anderen Geisteswissenschaftler*innen dachten ebenso wie ich, dass sie zu wenig technisches Know-How hätten. Alle teilten allerdings das Interesse an den von der Universitätsbibliothek Berlin vorbereiteten Datensets. Darin gab es medizinische Abhandlungen, Kinderbücher, Ratgeberliteratur, handschriftliche Briefe berühmter Persönlichkeiten und noch viel, viel mehr. Jede einzelne Quelle hielt interessante Einsichten zur Gender-Frage bereit. Und so ist es dann auch nicht verwunderlich, dass sich die Teams wie automatisch über das Interesse an den Inhalten bildeten.

Bei mir war es übrigens das Interesse an dem Datenset „Individual Lives“, da hier auch das Leben einer mir bekannten Persönlichkeit eine Rolle spielte. Es gab eine Reihe von Briefen von Lou Andreas-Salomé, die Literaturliebhaber entweder über ihre Liebe zu Rilke oder aus dem Roman „Und Nietzsche weinte“ von Irvin D. Yalom kennen. Eine Frau, die Philosophen sicher als die „Muse“ von Paul Rée und Friedrich Nietzsche erinnern. Jemand, der Psychologen und Psychiatern wahrscheinlich als Schülerin Freuds ein Begriff ist. In jedem Fall eine Frau, die heute hauptsächlich über ihre Beziehung zu Männern definiert wird. Und genau das wollten wir mit unserem Projekt ändern, denn schließlich war sie selbst sowohl Literatin als auch Theoretikerin.

Das Projekt

Unser Anliegen war also ernst, unser Projekt sollte es aber nicht sein. Wir wollten mit Leichtigkeit in das Leben von Lou Andreas-Salomé einführen, dann immer tiefer gehen und schwuppdiwupp, sollte der Nutzer unseres Angebots sich im Werk dieser Frauenpersönlichkeit verlieren. Um das zu erreichen, erfanden wir eine Fake News. Naja, um es etwas weniger wie eine Lüge wirken zu lassen, nennen wir es vielleicht doch lieber eine Geschichte. Die Geschichte vom Sensationsfund des Handys von Lou Andreas-Salomé.

Um zu zeigen, wie gut vernetzt Lou war, erfanden wir ein soziales Netzwerk, genannt „Salon“, und fakten ihr Profil. Aus dem Briefwechsel mit Gerhart Hauptmann machten wir einen Chatverlauf. Ihre Lektüren zeigten wir in Form eines Goodreads-Profil. Es war uns wichtig, Lou nahbar zu machen. Wir wollten zeigen, dass sie sich von heutigen Influencerinnen vielleicht gar nicht so sehr unterschied. Und wir wollten auch darstellen, dass sie ihrer Zeit weit voraus war. Das gilt auch für Gender-Fragen, denn sie war eine wahrhaft unabhängige Frau.

Wenn du mehr über das Projekt „Lous Handy“ erfahren möchtest, schau in nächster Zeit einfach mal auf der Seite von Coding Gender vorbei. Dort werden nach und nach alle Projekte vorgestellt. Unsere Gruppe durfte sich auf jeden Fall über den Preis für das beste Konzept freuen, was uns stolz und glücklich macht. Der Preis ist für uns aber nicht nur ein Geschenk und eine tolle Anerkennung, sondern bringt auch eine gewisse Verantwortung mit sich. Derzeit überlegen wir gerade, wie wir das Projekt weiterführen und ausweiten können. Schließlich gibt es da draußen noch so viele Geschichten von Dichterinnen und Denkerinnen, die heute kaum noch oder aus den falschen Gründen erinnert werden. Wie immer halte ich euch natürlich hier, auf meinem Twitter-Account und auf Instagram darüber auf dem Laufenden, wie es mit dem Projekt weiter geht.

CorpusContest Heidelberg – Digital Humanities Nachwuchsförderung vom Digital Humanities Nachwuchs

Es ist so beeindruckend, was Stefan und Christopher von InFoDiTex schon alles auf die Beine gestellt haben. Summerschools, Gastvortrags-Reihen und nun auch noch einen Corpus Contest. Und obwohl sie mit Letzterem gezielt Digital Humanities Nachwuchsförderung betreiben, gehören sie doch selbst noch zu jenem. Na gut, der Begriff „Nachwuchs“ geht in den Geisteswissenschaften auch sehr weit. Alle, die noch nicht Professor*innen sind, dürfen sich über die jugendliche Bezeichnung freuen. Trotzdem ist das InFoDiTex-Netzwerk etwas ganz Besonderes. Denn so viel Eigeninitiative zu zeigen, noch während und kurz nach der Doktorarbeit, das muss man erstmal hinkriegen. Aber: Schluss mit der berechtigten Lobhudelei und zurück zum Contest!

Der Rahmen

Die Idee des CorpusContest war einfach und klasse. Mit dem deutschen Novellenschatz wurde ein digital vorliegendes Textkorpus zur Verfügung gestellt. Von diesem konnte man sich als junger, digital affiner Geisteswissenschaftler inspirieren lassen. Die Inspiration sollte man dann in eine Projektidee fließen lassen, mit der man sich bewerben konnte. Ungefähr zeitgleich mit der Ausschreibung für den CorpusContest hatte ich vom Coding Gender Hackathon erfahren. Außerdem war ich gerade dabei, Ideen für mein nächstes Seminar zu sammeln. Dadurch stand schnell fest, dass ich mich bei allen drei Events bzw. Aufgaben mit dem Thema Gender beschäftigen wollte.

Aus allen Bewerbungen für den CorpusContest wurden dann drei Vor-Gewinner ausgewählt, die gegeneinander antreten durften. Doch es sollte am Tag des Contest nicht nur Konkurrenz herrschen, sondern auch Platz für Diskussionen und kooperative Gespräche sein. So gab es eine wundervolle Keynote von Frederik Elwert vom DH-Zentrum in Bochum und eine Paneldiskussion, beides zum Thema „Digital Humanities – Disziplinen in Konkurrenz oder Kooperation“. Und natürlich gab es auch einen Ausklang in einem heimeligen Heidelberger Restaurant, in dem nach erbittertem Kampfe und hitziger Diskussion dann Freundschaft geschlossen werden konnte. Alles in allem war es ein toller Tag!

Die Gewinner

Um es gleich einmal vorweg zu nehmen, meine Kollegin Marie, die ich für meine Projektidee gewinnen konnte, und ich haben den CorpusContest nicht gewonnen. Darum musst du jetzt auch auf die Vorstellung unseres Projektes noch etwas warten (oder du scrollst halt weiter, aber dann verpasst du natürlich etwas 😉 ). Die Gewinner waren zwei sehr beeindruckende Masterstudent*innen der Geschichtswissenschaft. Sie haben das Novellenkorpus für eine Topic-Modelling-Studie genutzt. Die Topics haben sie dann in einer Netzwerkanalyse hinsichtlich ihrer Nähe zueinander betrachtet. Auf diese Weise wollten sie Diskurse ausmachen, die sowohl historisch als auch literarisch bedeutsam waren für die Zeit, in der der Novellenschatz veröffentlicht wurde (19. Jahrhundert).

Das Sattelzeit-Projekt

Unser zweites Konkurrenz-Projekt wurde von Literaturwissenschaftlern entwickelt und hatte für mich einen besonders spannenden Ansatz. Es ging um die Frage, ob eine traditionell-literaturwissenschaftliche These mit Hilfe von Digital Humanities Verfahren verifiziert werden kann. In dieser Fallstudie ging es um die Kosseleck-These der Sattelzeit. Diese These besagt, dass erst im Laufe des 19. Jahrhunderts die lineare Zeitauffassung dominant wurde. Dieser Idee gingen die beiden Contestanten mit Hilfe einiger computerlinguistischer Verfahren nach. Sie konnten die These nicht verifizieren. Aber auch um die These zu widerlegen hatten sie mit ihren Methoden nicht die richtigen oder nicht genug Daten generieren können.

Die beiden bezeichneten sich als Digital-Humanities-Anfänger. Sie trugen ihr Projekt von Vornherein wie eine Niederlage vor. Ich habe später noch viel darüber nachgedacht. Eigentlich hatten sie einen spannenden Ansatz. Eigentlich sind für die Digital Humanities auch die Sackgassen wichtig. Wir sollten einfach viel mehr und vielleicht auch viel selbstbewusster über DH-Fails sprechen. Denn mit Vielem stehen wir noch so am Anfang, dass wir noch so viel voneinander lernen können. Dazu gehört auch die Einsicht, wie es eben nicht geht und natürlich auch das dazugehörige Warum.

m*w

Finally! Wir kommen zu unserem Projekt. Ich habe ja schon angedeutet, dass es wieder um das Thema Gender geht. Ich habe auch schon erwähnt, dass ich meine Kollegin Marie Flüh gewinnen konnte, mir zur Seite zustehen. Marie beschäftigt sich nämlich intensiv mit Fragen der Wertung in und über Literatur. Und gemeinsam kamen wir auf die Idee im Novellenschatz nach Genderstereotypen und den dazu gehörigen Bewertungen zu suchen. Aber wir wollten das nicht auf eine derzeit in den Digital Humanities gängige Art machen und z.B. ausschließlich automatisierte Verfahren nutzen. Wir wollten von der kultur- bzw. literaturwissenschaftlichen Theorie ausgehen. Dann wollten wir alle Register ziehen und sowohl automatische als auch halbautomatische und manuelle Methoden nutzen.

Wir entwickelten theoriebasierte Modelle zu Gender und Bewertung. Dann trainierten wir ein eigenes Named Entity Recognition Modell darauf, weibliche, männliche und neutrale Figuren automatisch zu annotieren. Anschließend annotierten wir selbst halbautomatisch Gender-Rollen und wir markierten beschreibende Eigenschaften im Text. Wir annotierten auch Emotionen, die den Figuren zugeordnet waren. Diese interpretierten wir auf eine positive oder negative Bewertung hin. Wir testeten alles an den ersten zwei Novellen und wir planten, in meinem kommenden Seminar die Annotationsdaten zu erweitern. Um unser Projekt so offen wie möglich zu gestalten, riefen wir eine Webseite ins Leben. Hier kannst du dich natürlich gerne weiter über unser Projekt informieren. An dieser Stelle bremse ich mich erst einmal, denn hier soll es ja in erster Linie um die Digital Humanities Nachwuchsförderung gehen.

Warum auch du dich in die Digital Humanities Nachwuchsförderung stürzen solltest

Die Events, von denen ich hier berichte, sind nur zwei von derzeit recht vielen Digital Humanities Nachwuchsförderungs Möglichkeiten. In Stuttgart wurde vor Kurzem vom CRETA Projekt ein Coaching angeboten. Auf der nächsten Digital Humanities Konferenz (DHd 2020) in Paderborn wird es eine Mentoring-Gruppe geben. Aus meinen Erfahrungen kann ich nur sagen: Nutze solche Angebote! Sie beflügeln dich ungemein. Denn obwohl man in den Geisteswissenschaften recht lange als „Nachwuchs“ bezeichnet wird, wird man vor allem in der DH-Community mit seinen Ideen sehr ernst genommen. Alle freuen sich über neue Ansätze und sind sehr wohlwollend. Die meisten mögen selbst gerne Dinge ausprobieren und wissen auch selbst wie es ist, wenn etwas mal nicht funktioniert. Diese Gespräche auf Augenhöhe sind so viel wert!

Entdecke, was in dir steckt

Was aber fast noch viel mehr wert ist, ist, dass du selbst dazu kommst, Ideen zu entwickeln. Vor allem in Formaten wie dem Hackathon und dem Contest musst du sogar ziemlich schnell etwas Brauchbares erarbeiten. Die einzige Chance, die du hast, ist genau das zu machen, was du am besten kannst. Was das ist, findest du wahrscheinlich erst heraus, wenn du unter einem solchen Druck etwas entwickeln musst. Keine Zeit für die Aneignung neuer Fähigkeiten. Auch keine Zeit erst einmal abzuwarten und zu schauen, was die anderen machen. Nein! Du musst eine Lösung finden. Und zwar schnell. Dieser Gedanke beflügelt. Dass man wirklich etwas schaffen kann in kurzer Zeit beflügelt noch mehr. Und plötzlich ist man völlig in einer neuen Projektidee aufgegangen und muss diese unbedingt weiter führen. Einmal an diesem Punkt angekommen, ist es dann auch schon fast egal, ob man gewinnt oder nicht. Was zählt, ist wirklich, es geschafft zu haben. Dabei gewesen zu sein. Und das meine ich nicht als Floskel. In diesem Sinne empfehle ich dir: Wage dich aus deiner Komfortzone und mach auch einfach mal mit bei einem der vielen Angebote zur Digital Humanities Nachwuchsförderung!

Mehr literarisches Leben:
Wöchentliche Blog-News

Mit deinem Lebe-lieber-literarisch-Abonnement erhälst du jede Woche neue Artikel direkt in dein Postfach. Kein Buch-Tipp, keine Kolumne, keine digitale Fallstudie und kein Blog-Tipp wird dir je wieder entgehen!

Invalid email address
Probier es einfach mal aus, du kannst dich jederzeit wieder abmelden.

2 Kommentare

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert