Buch-Tipp: Zadie Smiths „Swing Time“ ist toll, ihre Protagonistin hingegen…
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Zadie Smith ist ja eine dieser Autorinnen, die viel gehypt werden. Ich weiß nicht, wie oft ich schon ein Bild vom Cover dieses Buches gesehen habe, mit dem Bookstagrammerinnen ihre Lektüre dokumentiert haben. Aber, was soll ich sagen, es geschieht zu Recht. Diese Autorin ist eine Garantin für gute Lektürezeit und damit meine ich nicht unbedingt eine unbeschwerte Zeit. Denn obwohl sie eine der witzigsten Autorinnen sein kann, die ich kenne, widmet sie sich auch oft ernsten Themen. In Zadie Smiths „Swing Time“ geht es z.B. um Bildungschancen zweier junger Afro-Britinnen. Und es geht auch darum, wonach wir heute eigentlich im Leben streben.
In Zadie Smiths „Swing Time“ geht s vor allem um zwei Freundinnen
Die Grundkonstellation der Hauptfiguren in diesem Roman erinnert schon ein wenig an Elena Ferrantes neapolitanische Saga, über die ich hier ja auch schon ausführlich gesprochen habe. Es geht um zwei Freundinnen. Die eine ist anmutig, wunderschön und eine sehr begabte Tänzerin. Die andere – unsere Protagonistin – ist viel plumper und bewundert ihre Freundin. Sie sind beide intelligente und lernbegierige Kinder, wenn sich ihr Interesse auch hauptsächlich auf das Tanzen richtet. Die eine der beiden wird in dem Milieu hängen bleiben, in dem die beiden aufwachsen. Die andere wird Karriere machen. Doch hier enden auch schon die Gemeinsamkeiten mit dem italienischen Romanzyklus. Denn in Zadie Smiths „Swing Time“ gibt es einen ganz entscheidenden Einflussfaktor, der bei Ferrante ganz anders angelegt ist und dass ist die Rolle der Mutter bzw. der Familie.
Die Mutter unserer Protagonistin ist eine Lichtgestalt. Sie ist Afrikanerin und nicht in England aufgewachsen. Doch sie nutzt ihr Leben dort, um sich intensiv zu bilden, wird eine richtige Intellektuelle. Von dieser Frau muss man einfach fasziniert sein. Der (weiße) Vater unser Hauptfigur ist zwar nett, aber viel mehr auch nicht. Die beiden trennen sich irgendwann im Laufe der Geschichte. Es versteht sich von selbst, dass diese Mutter ihre Tochter zur Bildung geradezu zwingt.
Die Mutter der Freundin ist ganz anders. Sie ist eine blonde Britin, die nichts von Erziehungs-, Ernährungs-, oder Bildungskonzepten weiß. Bei ihr gibt es Fast Food und jede Menge Plastik-Spielzeug. Aber sie ist herzlich und liebt ihre Tochter sehr, die so viel zauberhafter ist als sie selbst. Der Vater ihrer Tochter ist ein (schwarzer) Kleinkrimineller, der fast die ganze erzählte Zeit im Knast verbringt. Seine Tochter denkt sich für ihn allerdings die Geschichte aus, dass er als Tänzer mit Michael Jackson auf Tour ist. Ihr Talent für’s Tanzen hat sie von ihm.
Ein Traumberuf?
Was passiert also mit diesen beiden Freundinnen? Die eine versucht sich als Tänzerin, bekommt viele Kinder von ebenso vielen Männern und wird schließlich eine ähnlich herzlich-chaotische Mutter wie ihre eigene es war. Die andere kann weder die hohen Erwartungen ihrer Mutter erfüllen, die in ihr eine gleichgesinnte Intellektuelle sucht, noch kann sie ihrem eigenen Traum von der talentierten Tänzerin entsprechen. Dass sie wunderschön singen kann, zählt für sie nicht oder nur kaum und so lässt sie dieses Talent verkümmern. Statt dessen wird sie zum Mädchen für alles bei einem Weltstar von Sängerin. Sie wohnt bei ihr, reist mit ihr auf Tourneen durch die Welt und sie federt alle ihre Launen ab. Das macht sie mehr als zehn Jahre lang, in denen sie ihr eigenes Sozialleben nahezu abtötet.
Dann setzt sich die, übrigens weiße, Sängerin in den Kopf, ein Charity-Projekt in Afrika aufzubauen. Natürlich bedeutet das, dass es de facto von unserer Protagonistin aufgebaut werden soll. Schließlich ist sie nicht-weiß. Es stellt sich aber schnell heraus, dass sie eben auch nicht afrikanisch ist. Sie reist zum ersten Mal in das Land der Familie ihrer Mutter und kommt mit den Gepflogenheiten vor Ort mehr schlecht als recht klar. Als Leser*innen leiden wir mit ihr unter der Ausgrenzung, die sie dort erfährt, aber wir wundern uns auch über ihr meist unsensibles Verhalten. Und immer und immer wieder fragen wir uns beim Lesen: Warum tut sie das alles für diese Sängerin?
Warum man mit der Protagonistin in Zadie Smiths „Swing Time“ nicht warm wird
Nun, ich denke die Protagonistin in Zadie Smiths „Swing Time“ ist das, was Sartre und de Beauvoir „une lache“ genannt haben. Eine Unaufrichtige, wie man es übersetzen könnte oder eine Lusche, wie ich gerne dazu sage. Sie weiß nicht, was sie will, handelt nicht nach eigenen Überzeugungen, sondern macht sich zum Spielball der anderen. Allen voran natürlich der berühmten Sängerin. Aber ebenso lässt sie ihre Mutter über sich herrschen und auch ihre Freundin. Sie steht für nichts ein. Nicht für ihre Kinderfreundin, die sie wirklich gern hat und später auch nicht für die berühmte Sängerin, die sie verehrt. Ihre Mutter, zu der sie ein schwieriges Verhältnis hat, bekommt das natürlich auch zu spüren.
Ich glaube es war auch auf Instagram, dass ich eine Rezension zu diesem Buch gelesen habe, in der es in etwa hieß, dass die Rezensentin das Buch gerne lese, aber irgendetwas störe sie oder lasse sie nicht so richtig warm werden mit dieser Geschichte. Nun, ich glaube, das liegt an der Protagonistin. Man möchte sie schütteln. Man möchte ihr ins Gesicht sagen: Tu was! Setz dich ein! Lass die, die du liebst nicht hängen! Und es fallen einem noch eine ganze Reihe solcher Sätze ein. Am Ende weiß man, dass man mit dieser Frau definitiv nicht gern befreundet wäre und trotzdem wünscht man ihr auch eine Freundin, die sie aus ihrem Luschen-Dasein herausholt.
Und warum man dieses Buch trotzdem lieben muss
Zadie Smiths „Swing Time“ greift einige große Themen unserer Zeit auf. Alltagsrassismus gehört natürlich dazu, aber viel mehr noch die Bedeutung der Familie für den Zugang zu Bildung. Smith reflektiert althergebrachte Rollenmuster genauso wie Versuche, diese zu durchbrechen. Und sie zeigt, was der bedingungslose Wille zur Karriere, zu einem beruflichen Leben, das das eigene persönliche Leben überdeckt, bedeuten kann. Sie zeigt auch, was der Verlust der Bedeutung von Freundschaft bewirken kann. Denn daran krankt die Protagonistin wohl am meisten: Dass sie nicht erkennen mag, wie wichtig ihr die Kindheitsfreundin ist, dass sie auch ganz allgemein eigentlich gar nicht weiß, was Freundschaft bedeuten kann. Wer schon einmal etwas von Zadie Smith gelesen hat, kann sich denken, dass all diese Themen in einer großartigen Sprache dargestellt werden. Sie ist weder belehrend, noch gibt sie vor eine Antwort auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu haben. Sie erzählt uns einfach nur Geschichten, die uns zum nachdenken bringen. Und es sind gute Geschichten. Solche, die uns über rund 700 Seiten tragen obwohl wir mit der Protagonistin nicht warm werden können.
Mehr davon?
Ich hab es ja schon gesagt, wer sich am meisten für das Freundschaftsmotiv erwärmen kann, der sollte sich nach der Lektüre von „Swing Time“ am besten der neapolitanischen Saga von Elena Ferrante zuwenden. Wenn du aber bisher noch nichts von Zadie Smith gelesen hast, so kann ich dir vor allem zwei Bücher ans Herz legen: Über die Schönheit und „Zähne zeigen“. Das erste ist thematisch näher an „Swing Time“, aber das zweite musst du unbedingt auch lesen, denn hier kommt auch Zadie Smiths Talent für das Komische voll zum Tragen. Ich habe „Zähne zeigen“ wirklich sehr, sehr geliebt. Wenn du dich für die Thematik afrikanischer Migration interessierst, so musst du unbedingt als nächstes „Americanah“ von Chimamanda Ngozi Adichie lesen. Hier geht es um eine junge Frau, die in Afrika aufwächst, dann aber nach Amerika geht und dort mehr als 15 Jahre lang bleibt. Großes Plus dieses Romans ist, dass die Protagonistin hier auch noch sympathisch ist.