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Gastpost: „Tolkien würde im Grab rotieren….

Beutelsend – Drehset des Hobbit-Films von Peter Jackson

Ich habe die Ehre hier einen Gast Post von Frühstücksflocke zu präsentieren. Auf seinem Blog Weltenschmiede widmet erst sich leidenschaftlich der Kreation fiktiver Welten. Hier geht erst der Frage nach, warum wir uns über Filmadaptionen literarischer Werke so herrlich aufregen können.

….wenn er wüsste, was der olle Peter Jackson mit seinem wunderschönen Kinderbuch anstellt. Hat der Jackson doch letztens aus der Schlacht der fünf Heere eine der neun Heere gemacht und will außerdem den bösen Drachen Smaug mit einer Bombe von Seiten der Zwerge traktieren, obwohl im Buch gar kein direkter Schlagabtausch zwischen diesen beiden Parteien vonstatten geht, sondern sich der einzige Kontakt auf Meisterdieb Bilbo beschränkt (der ja nur als Meisterdieb angeheuert wurde, weil die Zwerge bereits im Vorhinein wussten, dass das mit dem Schlagabtausch eine Schnapsidee wäre).


Außerdem soll Jackson gesagt haben, dass Esgaroth am langen See wie das Venedig aus einem Charles-Dickens-Roman aussehen soll. Charles Dickens? Großer Gott, das Buch ist doch von Tolkien! Was hat Dickens da zu suchen?

Überhaupt, diesem Jackson ist nicht zu trauen. Soll der doch bereits in den ersten Film einen Ork geschmuggelt haben, der da nicht hingehört, samt spektakulärer Verfolgungsjagd, wilden Kämpfen, brennenden Bäumen und lauter CGI-Dings, das schon irre geil aussah. Aber mit dem Buch hatte das doch nicht das geringste zu tun.

Unglaublich, dass der Typ überhaupt noch mehr Mittelerde-Filme machen durfte – er hat doch schon den Herrn der Ringe zerschandelt. Einfach Tom Bombadil zu streichen und aus Faramir so einen fiesen Typen zu machen.

Und überhaupt und sowieso – der zerkratzt ganz schön Tolkiens Erbe! Ins Kino geh ich als wahrer Fan natürlich trotzdem, man muss ja schließlich wissen, was dieser Filmpirat tut und wie sehr er Tolkiens Erbe verschandelt. Hoffentlich stoppt ihn mal jemand….“

Uff. So geht’s noch lange weiter – oder könnte es noch lange weitergehen. Ich lege die Karten gleich auf den Tisch: Obige Zeilen sind fingiert. Sie stehen nicht so in irgendeinem Forum oder Blog, sind aber durch die vielen entrüsteten Forenbeiträge und Blogposts inspiriert, die ich in letzter Zeit gelesen habe.
Es ist die alte Geschichte: Ein Buch ist ein voller Erfolg, Hollywood interessiert sich dafür, macht einen Blockbuster (wie es auf Pro7 immer heißt) daraus und bringt den Film in die Kinos. Tausende von Buchfans stürmen das Kino (gefolgt von Millionen von Buch-Nicht-Kennern, also den sprichwörtlichen Ignoranten oder Banausen) und die Buchfans regen sich dann auf. Warum? Ist nicht das passiert, was sie immer wollten? Kennt jetzt nicht die ganze Welt die Geschichte, über die sie immer reden wollten, aber nie konnten, weil keiner das Buch kannte? Müssten sie jetzt nicht glücklich sein?

Nein – denn dem Glück steht eines im Wege: Der Regisseur/Drehbuchautor/Schauspieler/Whoever hat das Werk total verschandelt.
Warum passiert das? Warum kann ein Film sich nicht einfach an die Buchvorlage halten? Wieso muss immer der tote Autor im Grab rotieren?
Die Antwort ist simpel: Weil ein Film kein Buch ist.

Puff.

Wunschtraum zerplatzt? Ja? Gut, dann zur sachlichen Erklärung.
Wenn wir uns einen Film anschauen, dann haben wir gewisse Vorstellungen davon, was uns erwartet. Ein Film darf nur zwei Stunden dauern, denn mehr Zeit haben wir nicht. Dann wollen wir unterhalten werden. Wir wollen etwas Action sehen und auch etwas Romantik. Die Handlung muss einen Sinn erfüllen, der in sich geschlossen ist – ein zu offenes Ende lässt uns unbefriedigt zurück und erfüllt uns nicht mit der Genugtuung, die einen immer erfüllt, wenn man eine neue Geschichte erfahren hat.

Wie kommt nun der Ork in den ersten Hobbit-Teil? Ganz einfach: Wir brauchten für den Film eine in sich geschlossene Handlung. Mit so einer kann die Buchvorlage auf den ersten hundert Seiten aber nicht dienen. Das große Ziel des Buches ist die Ankunft am einsamen Berg und der Weg dorthin gestaltet sich als eine sanft dahinplätschernde Aneinanderreihung einzelner Abenteuer. Angesichts der Fülle der Abenteuer – die Riesen im Gebirge, die Höhle der Orks, die Warge, der Adlerflug, Beorn, der Düsterwald, … um nur einige zu nennen – ist es unmöglich, sie alle in einem Film unterzubringen. Deshalb muss Peter Jackson mehr als einen Film machen. Damit steht er aber vor dem Problem, dass der erste Film nur ein paar aneinandergereihte Abenteuerstationen hätte und damit keine zufriedenstellende, in sich geschlossene Handlung. Deshalb baut er diesen bösen einarmigen Ork ein, um ein Handlungsziel zu haben – die Flucht  vor dem Ork bzw. das Gewinnen des Endkampfes gegen ihn. So hinterlässt der Film beim Zuseher ein zufriedenstellendes Gefühl.

Und wieso verändert Peter Jackson die Abenteuer? Wieso können die Zwerge bei der Flucht in den Fässern aus dem Elbenreich plötzlich kämpfen? Die Antwort: Weil niemand zwei Stunden lang ein paar Fässern und einem daran festgeklammerten Martin Freeman zuschauen will. Das ist langweilig. Wir wollen unterhalten werden, wir wollen Action. Daher hat diese Szene mehr Action, denn sie muss dem Medium Film und dessen Ansprüchen gerecht werden.

Und wieso ist da plötzlich eine Elbe namens Tauriel im Film, die bei Tolkien nicht existiert? Wegen der Romantik. Noch ist der Film nicht da und der Autor dieses Artikels spekuliert nur, aber womöglich knistert es ja zwischen ihr und Legolas ein wenig? Denn auch das erwarten wir von einem Film, wenn Frau auf Mann trifft: Dass es irgendwie funkt.
Erneut also eine „Medienkonvention“.

Der Hobbit dient uns hier aber nur als Beispiel, um möglichst aktuell das Problem der Verfilmung aufzuzeigen. Leser glauben immer, wenn ein Buch verfilmt wird, müsse es 1:1 umgesetzt werden. Angesichts der verschiedenen Ansprüche an Film und Buch geht dies nicht – das Buch würde als Film floppen. Übrigens auch umgekehrt: Wird ein Film 1:1 in ein Buch verwandelt, floppt er wohl ebenfalls (erkennt man auch daran, dass die berühmt-berüchtigten „Bücher zum Film“ selten viel Erfolg haben).

Eine Verfilmung ist nie eine Umsetzung, sondern immer eine Adaption, bei der der Regisseur/Drehbuchautor/Whoever versucht, die Geschichte des Buches möglichst erfolgreich in einen Film zu übertragen. Er erzählt also nicht genau die gleiche Geschichte, sondern seine Version der Geschichte. Es ist etwa so, wie wenn euch eure Großmutter Rotkäppchen erzählt und euch dann später euer großer Bruder erneut Rotkäppchen erzählt. Sowohl Großmutter, als auch großer Bruder werden unterschiedlich erzählen, sie sind verschiedene Erzähler, obwohl sie die gleiche Geschichte erzählen. Der Fokus verschiebt sich vielleicht von Rotkäppchen auf den bösen Wolf oder das Schicksal der Großmutter.
Auch Tolkien und Jackson sind verschieden: Sie erzählen die gleiche Geschichte, aber auf ihre jeweils andere Art.

Genauso wie ihr vielleicht die Version eurer Großmutter zur Lieblingsversion gekürt habt als kleine Kinder, so könnt ihr auch Tolkiens Version zu eurer Lieblingsversion küren. Oder euch gefällt Jackson besser – das wäre nur legitim. Auch er ist ein toller Erzähler.

Aber die Verschandlung von Tolkiens Erbe? Ein solcher Aufschrei ist ziemlich unnötig und ein kindischeres Verhalten als es auch nur irgendein Kind dieser Welt an den Tag legen würde.
In anderen Genres ist man übrigens weiter und hat keinen 1:1 Anspruch mehr auf die Umsetzung, im Gegenteil.

Wer die Filme rund um den Schatzjäger Indiana Jones sieht und später das Computerspiel Lego: Indiana Jones spielt, wird in letzterem viele Szenen finden, die im Originalfilm nicht drin sind. Ist auch dies Verschandlung? Keineswegs, es ist eine Adaption der Geschichte an ein neues Medium. Die Erzähler sind anders, der Fokus ist anders und die Ansprüche sind anders.

Aber George Lucas rotiert sicher nicht im Grab – nicht nur, weil er noch lebt, sondern weil er diese Adaption sogar befürwortet: George Lucas hat das Computerspiel mit seiner eigenen Firma mitproduziert.
Wer jetzt glaubt, der fruehstuecksflocke führe den Leser hier langsam ad absurdum, denn hier im Blog geht es ja um Literatur, nicht um Videospiele, dem sei gesagt: Auch Dramen kommen nie so auf die Bühne, wie sie in der Lesefassung erzählt werden. Auch hier erfolgt eine Adaption seitens des Regisseurs an das neue Medium. Und eine jede Aufführung ist anders, denn es ist auch nie derselbe Erzähler.
Der „reine“ Literaturbetrieb kennt das Phänomen der Adaption also seit langer Zeit.

Noch mehr altbewährte Geschichte zum Schluss: Vor gut 1000 Jahren (mehr oder weniger) gab es noch kein Urheberrecht: Autoren schrieben einfach von anderen Autoren ab, ließen sich fremdinspirieren und erzählten bereits bekannte Geschichten immer wieder neu, auf völlig andere Art.

Heute zementieren wir Geschichten in eine feste Form mittels Gesetzen: Aber bleibt eine Geschichte nicht immer so einzigartig in unseren Herzen, wie wir sie vernommen haben? Denn auch der Leser/Zuseher/Spieler konstruiert die Geschichte individuell mit, denn es sind seine individuellen Erfahrungen, Gefühle und Gedanken, die in die Rezeption stets mit einfließen.

Sollten wir daher nicht einfach etwas offener sein für andere Formen der Rezeption derselben Geschichte, anstatt jeden Buchstaben auf die Goldwaage zu legen?

3 Kommentare

  • feuerblut

    Oft genug möchte ich den ganzen Filmbashern sagen, sie sollen geschmeidig bleiben und fühle mich in 90% der Buchverfilmungen zumindest gut unterhalten.

    Das beste Beispiel sind die "Drei Musketiere in 3D" – außer den Namen und ein bisschen Setting ist von den originalen Musketieren fast nichts mehr übrig geblieben. Aber es ist ein in meinen Augen einfach fantastischer Film mit (altbekannter, aber dennoch) spannender Handlung, viel Witz, Humor, opulenten Bildern und einer Prise Steampunk.

    Warum darf Peter Jackson das beim Hobbit nicht auch? Nur weil es die erste Verfilmung ist, während die Musketiere schon so oft verfilmt wurden, dass man allein mit den Filmtiteln ein Büchlein füllen könnte?
    Meiner Meinung nach großer Blödsinn.

  • Mareike Höckendorff

    Tja, ich denke, dass das auch damit zu tun hat, dass Tolkien lange als "unverfilmbar" galt. Mit der Herr der Ringe Trilogie hat Peter Jackson relativ entspannt aus der Hüfte heraus gezeigt, dass das nicht stimmt (wer hätte gedacht, dass ein Regisseur neuseeländischer Trash-Horrorfilme dazu im Stande war). Nun waren die Erwartungen beim Hobbit sehr groß. Gleichzeitig war Peter Jackson viel unvorsichtiger bei der Umsetzung, hat mehr experimentiert, sich mehr von der Vorlage abgewandt und hat sich trotzdem recht stark an kommerziellen Erfolgskriterien orientiert. Da war die Enttäuschung eingefleischter Fans fast schon vorprogrammiert.
    Abgesehen davon finde ich, dass ihm wieder ein hervorragend unterhaltsamer Film gelungen ist, den man vielleicht ein bisschen mehr ohne die Romanvorlage im Kopf anschauen sollte.
    Wenn Tolkien also im Grabe rotieren sollte, hoffe ich persönlich, dass Herr Jackson ihn noch etwas länger auf Trab hält 😉

  • tintenhain

    Ein toller Beitrag!
    Ich schaue mir ganz gern Buchverfilmungen an. Meistens liegt soviel Zeit zwischen dem Buch und dem Film, dass ich ohnehin nicht im Detail vergleichen kann. Also erwarte ich im Grunde eine Auffrischung der Geschichte und natürlich sollte mir der Film schon auch gefallen. Ich muss die Geschichte aber schon wiedererkennen können.

    Der Nachteil eines Filmes ist aus meiner Sicht, wenn die eigene Vorstellung eines Charakters aufgrund des Schauspielers nicht mehr passt. Oder man hat beim Lesen dann immer den Schauspieler vor Augen.
    Ähnlich geht es mir mit Gewaltszenen, in Büchern entscheide ich selbst, was ich daraus mache, in Filmen fühle ich mich ausgeliefert.

    Beim "Hobbit" war mir der Film zu detailliert, so als wollte man die Fans auf keinen Fall durch Weglassen verärgern (oder man brauchte viel Material um 3 Filme daraus machen zu können). Auch hier liegen bei mir viele Jahre zwischen Film und Buch. Ich habe also hinterher noch mal das Buch angelesen und finde, dass ein vergessenes Taschentuch im Buch Charme hat, im Film aber völlig überflüssig ist. Eingefleischte Fans haben sich sicher drüber gefreut, aber mir war der Film manchmal einfach zu langatmig. Ich dachte irgendwann, dass sie im ersten Teil bestimmt nicht mehr losziehen. 😉 – Aber ich liebe das Zwergenlied (Far over the misty mountains cold) – das mal gesungen zu hören fand ich toll!

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