Der Autor heute
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Es ist inzwischen mehr als 50 Jahre her, dass Barthes uns verkündet hat, dass der Autor tot sei (Barthes, 2000) und etwa genauso lange, dass Foucault bestätigte, dass das Werk seinen Schreiber töte (Foucault, 2000). Aber heute ist das ganz anders, oder? Heute zeigen sich Autoren scheinbar überall ganz privat und nahbar. Sie sind auf sozialen Netzwerken aktiv und – ganz besonders jetzt in Zeiten des Corono-Lockdowns – nehmen uns sogar mit in ihre Wohnungen. Führen z.B. Lesungen per Twitch oder Video-Konferenz durch, einfach so aus ihrem Wohnzimmer. Total lebendige Autoren überall also, oder? Nun, heute möchte ich mir drei von ihnen einmal etwas genauer ansehen.
Was ist ein Autor und ist der nun tot oder was?
Aber schauen wir uns wie gewohnt erst einmal die Texte etwas genauer an, um die es hier gehen soll. Der erste ist Roland Barthes berühmt gewordener, recht kurzer Essay „Der Tod des Autors“ (Barthes, 2000). Veröffentlicht wurde der Text 1968 und hat seitdem seine Wirkmacht nicht verloren. Das Verwirrende an diesem Text ist, dass ein physischer Autor natürlich nicht tot sein kann, solange er noch schreibt. Ein physisch gesehen toter Autor ist ja aber selbstverständlich tot, also was soll das Ganze überhaupt? Die Antwort ist, dass es hier eigentlich nur bedingt um den Menschen geht, der ein Autor sein kann. Es geht ums Konzept. Und es geht um die Stimmen in einem Text und wie man diese zuordnen kann. Darum steht auch die am Beginn des Aufsatzes die Frage „wer spricht?“. Beschäftigt man sich ernsthaft mit Textanalyse kann die Antwort auf diese Frage auf keinen Fall „der Autor“ sein. Denn das ist eine Sackgasse; führt uns nicht weiter.
Der Autor als durchlässiges Konstrukt
Für mich persönlich ist die interessanteste Idee in diesem Text die des Autors als eine Art Medium, das zwar dafür sorgt, dass ein Text entsteht, das diesen aber nicht konstruiert, formt, einem Zweck untertan macht. Stattdessen bahnen sich durch diesen Schreiber Ideen, Texte, Sätze, Wörter aus dem, was er selbst gesehen, gehört gelesen hat, ihren Weg in seinen Text. Wenn ich mich hier also mal kurz auf die Metaebene dieses Textes hier begeben darf, so könnte ich feststellen, dass hier gar nicht ich zu euch spreche, sondern nur in neuer Form nieder schreibe, was ich selbst gelesen und gehört habe.
Die Pluralität des Autor-Egos
Diese Idee kann man dann mit dem Text „Was ist ein Autor“ von Foucault (Foucault, 2000) noch etwas weiter denken. Denn dort wird festgestellt, dass die Person des Schreibenden sich beim Schreiben aufspaltet und durch den Text eine gewisse Distanz zu sich selbst schafft. Das Schreiben bleibt physisch mit der Person verbunden, die Autorschaft wandert aber in den Text. Und an dieser Autorinstanz-im-Text können wir dann auch erkennen, ob wir es mit einem „Werk“ zu tun haben oder nicht. Denn Einkaufslisten fehlt wohl diese reflexive Ebene, selbst dann, wenn sie von Nietzsche verfasst wurden. Sie sind also keine Werke.
Nun aber zurück zu meiner Ausgangsfrage: Zählt denn das alles noch, heute, in einer Zeit, in der wir es besonders lieben, wenn sich Professionelles und Privates vermischen?
Schöne neue Welt – die Autorpersona in den sozialen Medien
Nun, ich habe mich mal ein bisschen umgesehen und festgestellt, dass es durchaus sehr verschiedene Autorinszenierungen gibt, die durchaus auch ein wenig mit den unterschiedlichen sozialen Medien harmonieren. Ich habe euch drei Lieblingsbeispiele mitgebracht.
1. Marc-Uwe Kling, die „ich sprech‘ die ganze Zeit über mich selbst“-Ironie und die YouTube-Bühne
Schon Barthes und Foucault haben gewusst, dass man nicht einfach so Texte schreiben kann, ohne dass Leser*innen anfangen werden, darin auf Spurensuche nach einem zu gehen. Also, warum nicht einfach die Not zur Tugend machen und die Leser*innen mit Anekdoten aus dem eigenen Leben überschwemmen? Wer viele Krimis liest, weiß ja: Die beste Lüge ist die, in der etwas Wahrheit steckt. So, und wenn man dann den Realitätsbrei hat, konterkariert man das Ganze, indem man behauptet, dass man mit einem Känguru zusammenleben würde. Zack: Hidden in plain sight! Denn nun sind die Lesenden auf eine andere Fährte gesetzt. Statt wie üblich nach dem Individuellem, dem Autorleben zu suchen, suchen sie nun nach dem Dichterischen, dem Allgemeinen, dem Känguruischen, sag‘ ich mal. Denn ganz klar, für diese Art der Autor-Inszenierung ist Marc-Uwe Kling mit seinen Känguru-Chroniken (Kling, 2009) ein Meister-Beispiel.
Schaut man sich nun die Social-Media-Präsenzen dieses Autors (ich meine natürlich Kleinkünstlers) an, so wird man feststellen, dass dort nicht viel Persönliches drinsteckt. Für Instagram und Twitter gibt es Online-Olaf. Das heißt nicht unbedingt, dass der Autor selbst hier nichts postet, aber so richtig unterscheiden, was nun von Online-Olaf ist und was von Marc-Uwe kann man nicht. Wo man aber tatsächlich viel von Kling findet, ist auf YouTube. YouTube ist die Bühne unter den sozialen Netzwerken. YouTuber sind irgendwie entrückter, inszenierter, zusammengeschnittener und eben wie auf einer Bühne präsentierter als Leute, die sich auf anderen Plattformen zeigen. Also, um zurück zu Barthes und Foucault zu kommen: Ja, hier haben wir sie auf jeden Fall die Pluralität des Egos, denn die wohl inszenierte Kleinkünstler-Autorinstanz in den Büchern ebenso wie auf der YouTube-Bühne unterscheidet sich eindeutig vom Schreiber-Performer-Autor.
2. Saša Stanišić, der Kumpel-Autor von Twitter
Saša Stanišić habe ich tatsächlich erst vor Kurzem für mich entdeckt (late to the Party, ich weiß). Eine der ersten Twitter-Aktionen, die ich von ihm mitbekommen habe, war, dass er davon berichtet hat, dass er eine Abiturklausur über einen Text von sich selbst mitgeschrieben hat. Danach sind mir immer einmal wieder Tweets von ihm aufgefallen. Ich erinnere mich, seinen Sohn im Tigerkostüm gesehen zu haben und ich bin von dort auch einmal zu einer Twitch-Wohnzimmerlesung von ihm gekommen, die er anlässlich des Corona-Lockdowns durchgeführt hat. Alles bevor ich auch nur einen Roman von ihm begonnen hatte. Ich weiß auch, dass er seinem Sohn Geschichten erzählt, die er bald als Buch veröffentlicht. Ja, dieser Autor ist definitiv Typ „nahbarer, sympathischer Kumpel“. Sehr lebendiger, kollegialer Autor.
Aber Moment mal, auch hier gibt es diese selbstreflexiven Momente, in der die Distanz zum Autor-Ich spürbar wird. Wenn man eine Abiturklausur über einen eigenen Text schreibt, so heißt das ja, dass man die Analyse des eigenen Textes auch bewerten lassen möchte. Der Vergleich mit den Schüler*innen als ebenbürtige Interpret*innen des eigenen Textes wird angestrebt. Die Deutungshoheit über die Richtigkeit der Interpretation wird in die Hand des Lehrenden gelegt. Ähnliches gilt wohl auch für die Anekdote über die Entstehung seiner Kindergeschichten. Hier ist der Schreiber-Autor zunächst Erzählender. Jemand, der sehr eng mit dem Empfänger seiner Geschichten verbunden ist und der auf dessen Verhalten reagieren kann. Die Geschichte wächst aus der Situation und später wird sie nur noch aufgeschrieben.
3. Sybille Berg sucht den Insta-Fame und lacht sich dabei tot
Eigentlich karikiert das soziale Netzwerk Instagram sich ja schon seit Jahren selbst. Von der simplen Foto-Plattform mit krassen Filtern, auf die man schnell mal einen witzigen Schnappschuss hochladen konnte, ist das Netzwerk zum Hochglanz-Selbstinszenierungsmedium geworden. Falls einem nicht aufgefallen sein sollte, wie ironisch das ist, kann man sich den Instagram-Account von Sybille Berg anschauen. Die Autorin kombiniert dort „Instagramability“ mit perfektionierter Belanglosigkeit. Sie postet oft Videos, die dermaßen skurril wirken, dass man nicht weiß, ob man lachen, weinen oder sich schämen soll, wenn man sie schaut.
Zwischen diesen völlig absurden Videos, von denen ich euch noch nicht mal eines beschreiben oder analysieren könnte, weil sie sich jeglicher Sinnhaftigkeit entziehen, erscheint dann auch mal ein Podcast-Schnipsel, in dem sie feststellt, dass sie sich selbst für ersetzbar und die Frage nach dem Bleibenden der Autorschaft für ziemlich dämlich hält. Und so scheint sie fast schon in der eigenen absurden Textwelt vergeblich zu versuchen, die Ebene zur Sinnhaftigkeit zu durchbrechen und muss daran natürlich scheitern. Das Szenario habe ich mir jetzt aber natürlich nicht selbst ausgedacht. Es entspricht fast genau der Beschreibung von Barthes, dass Texte zwar Zeichensysteme sind, dass sie aber den Bezug zur Bedeutungsebene verweigern. Zumindest von Autoren, denn die Deutungshoheit liegt nicht bei ihnen, sondern bei den Lesern. Der Autor bleibt hier also funktionslos. Ihr merkt schon, hier treffen sich Barthes und Berg, denn ihr Gefühl, ersetzbar zu sein, liegt schon ziemlich nah an der Funktionslosigkeit des Autors in Bezug auf den Sinn des eigenen Textes bei Barthes.
Am Ende zählt nur der Text
Wir sehen also, dass Dauerpräsenz von Autoren in ihrer Person eigentlich nicht wirklich etwas ist, das der Idee vom Tod des Autors widerspricht. Im Gegenteil, wenn wir genau hinschauen, finden wir hier so viel von Barthes und Foucault, dass es schon fast unheimlich ist. Und ich habe jetzt ja noch gar nicht einmal genau hingeschaut, sondern nur ganz kurz. Natürlich können wir viel auf Autoren projizieren, wenn sie so präsent sind. Wir können sie cool finden oder sympathisch oder weird, aber am Ende zählt eben doch nur der Text. Und da müssen wir dann auch ganz klar einsehen, dass Autoren in den sozialen Medien genau das tun: Sie ergänzen ihre Texte um mehr Text (übrigens, wenn du mehr über den Textbegriff erfahren möchtest, wirst du hier fündig). Nicht um schriftliche Textelemente, aber um bildliche, auditive, audiovisuelle oder eben performative Elemente.
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Bibliografie
- Barthes, R. (2000) ‘Der Tod des Autors’, in Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam, pp. 185–193.
- Foucault, M. (2000) ‘Was ist ein Autor?’, in Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam, pp. 198–229.
- Kling, M.-U. (2009) Die Känguru-Chroniken. Berlin: Ullstein.
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