The Tigers Wife – Die Tigerfrau von Téa Obreht
Ich lese gerade Die Tigerfrau von Téa Obreht und bin dabei auf eine wundersame Geschichte gestoßen. Der Roman handelt von einer jungen Frau, die als Ärztin auf dem Weg zu einem kleinen abgelegenen Ort ist. Hier möchte sie mit einer Kollegin und Freundin eine Klinik für Waisenkinder gründen. Bereits unterwegs erhält sie einen Anruf von ihrer Oma, die ihr sagt, dass ihr Großvater soeben verstorben sei. Für die Protagonistin beginnt nun eine Zeit der Auseinandersetzung mit ihrem Opa, der sie auf ganz besondere Weise geprägt hat. Sie stellt Vergangenheit und Gegenwart dar, sodass wir als Leser ihre Fortschritte bei der Gründung der Klinik mitverfolgen und zeitgleich ihre Familie kennen lernen. Da berichtet sie auf einmal, wie ihr Großvater ihr als Jugendliche vom Mann erzählt hat, der nicht sterben konnte.
Wie in der „Tigerfrau“ von Téa Obreht der Alltag poetisiert wird
Ich war davon überrascht und auch begeistert, denn natürlich musste ich an die Poetisierung von Alltäglichkeiten denken. Die Geschichte wird komplett nacherzählt und vermittelt eine eigenartige Mischung aus Banalität und Zauber. Der Großvater von Natalia trifft den jungen Mann der nicht sterben kann das erste Mal bei dessen Beerdigung. Der angeblich Ertrunkene richtet sich im Sarg auf und wird darauf hin von einem verängstigten Dorfbewohner erschossen. Mit zwei Kugeln im Hinterkopf wird er in seinem Sarg eingenagelt, doch trotzdem gibt er keine Ruhe.
Natalias Großvater wird als Doktor herbei gerufen, der das Dorf anlässlich einer Tuberkulose-Epidemie betreut. Man befürchtet eine bösen Zauber. Die Leute glauben sogar der junge Mann habe das Dorf verflucht. Manche denken, er sei ein Vampir. Diese Geschichten (eine Poetisierung des Alltags oder eher ein Versuch, Zufälle logisch zu verknüpfen?) glaubt der Doktor zwar nicht, die Wahrheit, dass der Mann nicht sterben kann, leuchtet ihm aber ebenso wenig ein. Erst nachdem der Fremde eine ganze Nacht am Grunde eines Sees verbringt, um am nächsten Morgen lebend daraus empor zu steigen, ist Natalias Opa überzeugt.
Nur eine kleine Prise vom magischen Realismus
Eine merkwürdige kleine Geschichte in einem ansonsten realistisch erzählten Roman, der von an Fakten orientierten Menschen handelt. Dabei erschafft die Autorin bewusst keine magische Fantasy-Welt. Der Vampirglaube wird zum Beispiel als Erklärung nicht akzeptiert, sondern ändert nur minimale Prämissen am realen System physikalischer Gesetze. Ihr »was wäre wenn« beschränkt sich hier auf einen einzelnen Mann, der nicht sterben kann. Als würde sie anhand dieses Gedankenexperiments aufzeigen, wie Menschen im Alltag mit solchen Veränderungen umgehen, beschreibt sie die Reaktionen der einfachen Dorfbewohner und des Mannes der Wissenschaft, für den der Großvater hier steht. Mich hat dieser Versuch des Einbindens einer legendenartigen Erzählung in einen zeitgenössischen, realistischen Roman fasziniert. Und wie immer freue ich mich natürlich über Kommentare, Anregungen und Beobachtungen von euch!