Deine Zielgruppe definieren oder: wenn du schon den intendierten Leser kennst, dann nutze ihn auch!
Inhalt / Content
Du denkst vielleicht bloggen und Literaturwissenschaft sei etwas komplett Unterschiedliches. Vielleicht bist du aber auch sogar schon Blogger*in, würdest aber niemals geisteswissenschaftliche Konzepte mit solchen aus der Blogosphäre zusammen bringen. Also richtest du deine Texte immer haargenau auf eine Sparte aus – nämlich mal auf die Blog-Sparte und dann wieder auf die geisteswissenschaftliche. Warum führst du nicht einfach zusammen, was zusammen gehört, nutzt die literaturwissenschaftlichen Kenntnisse, die du hast und lässt endlich die zwei Herzen in deiner Brust zu einem werden? Was dir das Ganze bringen kann, möchte ich dir heute am Beispiel dessen klarmachen, was auf bloggisch Leser-Persona und auf Litwiss intendierter Leser heißt.
Was ist ein intendierter Leser und gibt’s den wirklich?
In meinem letzten Blogartikel ging es ja viel darum, ob der Autor nun tot oder lebendig, aufgespalten oder ganz ist. Heute schauen wir uns mal die andere Seite an, nämlich die des Lesers. Und natürlich – ich hab’s ja schon angekündigt – greifen wir dabei erst einmal auf ein literaturwissenschaftliches Konzept zurück. In der Erzähltheorie gibt es die Annahme, dass Erzähltexte als Kommunikation zwischen, auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelten, Autor-/Erzählinstanzen und Leser-/Adressateninstanzen betrachtet werden kann. (Lahn and Meister, 2016)
Die Pluralität des Bloggenden
In meinem letzten Blogartikel könnt ihr, wie gesagt, nachlesen, warum ich es für sehr realistisch halte, dass Foucault damit recht hatte, dass der Autor sich beim Schreiben aufspaltet in ein physisches schreibendes Ich und ein mentales, die Geschichte formendes Ich (Foucault, 2000). Im Bereich des Bloggens auf der anderen Seite wird sehr viel darüber gesprochen, wie wichtig es ist, sich als Expert*in für das eigene Thema zu positionieren. Mit Foucault und Lahn/Meister könnte man sagen, dass in jedem Blogartikel dieses „Experten-Ich“ die Autorinstanz ist. Das physische, schreibende Ich kann unter Umständen davon abweichen, sich z.B. sehr viel unsicherer fühlen als das Experten-Autorinstanz-Ich es vermuten lässt. Ich denke, ihr wisst, was ich damit meine…
Die Pluralität des Lesers
Nun kam in der Diskussionsrunde des Seminars zur Einführung in die Literaturwissenschaft an der Uni Hamburg, das ich gerade aufgrund der besonderen Corona-Lockdown-Umstände digital halte, die kluge Nachfrage, ob man denn auf der anderen Seite, also als Leser, nicht aber ganz ungespalten und bei sich bleibe. Der intendierte Leser bleibe dann eine Leerstelle im Text. Die Erzähltheorie gibt ja aber vor, dass auf jeder Ebene immer ein Sender und ein Empfänger steht. Demnach müsste es auch neben dem physisch Lesenden eine mental sich in die Position des intendierten Lesers begebende Leser-Instanz geben. Was stimmt denn nun?
Um das herauszufinden, schauen wir uns diese Medaille mal von beiden Seiten genauer an. Ein Mal kann man nämlich das Phänomen aus Sicht des Autors betrachten und dann auch noch aus Sicht des Lesers. Beides möchte ich heute am Beispiel des Bloggens – also einer etwas anderen Textsorte – tun. Denn dieses Konzept ist nicht nur für Analysen interessant, nein man kann es auch ganz prima für sich nutzen.
Warum sollte ich meine Texte an einen intendierten Leser richten?
Die Antwort auf diese Frage ist zwar einfach, aber irgendwie auch abstrakt und lautet: Damit dein Text genau diesen Leser findet. Schreibst du einfach nur für dich, so wirst du höchstwahrscheinlich auch der einzige Leser deines Textes bleiben. Denn haargenau deine Interessen hast eben nur du. Wenn du aber beginnst, dich zu fragen, was an deinem Thema auch für andere interessant sein könnte, so ist schon der erste Schritt getan. Meist hast du dann so ein diffuses Gefühl dafür, für wen du eigentlich schreibst, aber so richtig greifbar ist das noch nicht. Und genauso wird es dann auch deinen tatsächlichen Lesern gehen. Teilweise werden deine Inhalte sie ansprechen, aber dann auch wieder nicht so richtig.
Wenn du dir aber ganz konkret Gedanken machst, wer dein*e Leser*in sein könnte, so kannst du deinen Text plötzlich nicht nur sehr zielgerichtet, sondern auch eine ganze Ecke persönlicher gestalten. Auf diese Weise kannst du den Effekt erzielen, dass jemand, der deinen Text liest, das Gefühl bekommt, dass dieser Text genau für ihn geschrieben wurde. Natürlich wird es andere geben, die genau das Gegenteil fühlen. Aber das ist der Auswahlprozess, den du brauchst, vor allem wenn du einen geisteswissenschaftlichen BlogBlog ist kurz für Web-Log und steht für ein online Publikationsformat. Man kann sowohl der als auch das Blog sagen. Es gibt Blogs aller Sparten, von Linklisten über Tagebuchartige Formate bis hin zu wissenschaftlichen Blogs. Die Veröffentlichung kann schnell und unkompliziert erfolgen oder redaktionellen Standards entsprechen. In den Geisteswissenschaften etablieren sich Blogs zunehmend als Alternative zur langwierigeren wissenschaftlichen Publikation. Lebe lieber literarisch ist ein populärwissenschaftlicher Literaturblog. Kurze Podcast-Folge zum Blog-Begriff: https://hnp9zs.podcaster.de/download/Podcast_Blog(1).mp3 More führst. So bekommst du nämlich genau die Leser, die du auch haben möchtest. Von hier aus kannst du dann anfangen, eine Community zu bilden und dich mit deinen Lesern auch aktiv zu vernetzen.
Wie komme ich zu einer Leser-Persona
Eine Leser-Persona zu entwerfen ist einfach und macht Spaß! Du erinnerst du ja sicher noch an Meine-Schulfreude-Bücher, oder? Nun, du nimmst dir so ein Schema vor, mit links oben einem Bild, daneben Name, Alter, Interessen, Beruf, „was ich nicht mag“ und was dir sonst noch so wichtig erscheint. Am Ende überlegst du dir eine Antwort auf die Frage „was sucht Persona x auf meinem BlogBlog ist kurz für Web-Log und steht für ein online Publikationsformat. Man kann sowohl der als auch das Blog sagen. Es gibt Blogs aller Sparten, von Linklisten über Tagebuchartige Formate bis hin zu wissenschaftlichen Blogs. Die Veröffentlichung kann schnell und unkompliziert erfolgen oder redaktionellen Standards entsprechen. In den Geisteswissenschaften etablieren sich Blogs zunehmend als Alternative zur langwierigeren wissenschaftlichen Publikation. Lebe lieber literarisch ist ein populärwissenschaftlicher Literaturblog. Kurze Podcast-Folge zum Blog-Begriff: https://hnp9zs.podcaster.de/download/Podcast_Blog(1).mp3 More?“ und schreibst diese natürlich auch in dein Schema. Damit bist du für’s Erste auch schon fertig. Um das Ganze plastischer zu machen, kannst du übrigens auch aus realistisch wirkenden Personenbildern auf Plattformen wie „This person does not exist“ ein Bild für deinen Proto-Leser wählen. Übrigens kannst du natürlich auch mehrere Leser-Personas erstellen. Je nach Kategorie deiner Artikel kannst du dann für einen oder mehrere dieser intendierten Leser schreiben.
Bleibt mir meine Leser-Persona für immer
Sobald du mehr Informationen über deine tatsächlichen Leser*innen hast, solltest du deine Persona(s) überarbeiten. Dazu kannst du die demografischen Merkmale aus deinen Statistiken nutzen. Oder du schaust dich mal unter den Followern deiner Social Media Profile um. Die Fragen aus deinem Schema bleiben gleich. Aber vielleicht hast du dir ja zu Beginn deines Blogprojekts z.B. eine weibliche Leser-Persona gewählt und nun hast du mehr männliche Leser.
Vielleicht fragst du dich zu diesem Zeitpunkt aber auch, wie es denn nun sein kann, dass du mit deinem Dank Persona doch so zielgerichteten Schreiben noch nicht die richtigen Leser erreichst. Nun, einerseits liegt das wahrscheinlich tatsächlich schlichtweg daran, dass du deine Zielgruppe noch nicht genau genug kennst. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass auch der Leser beim Lesen ein intendiertes Ich in den Text projiziert. Dieses wird zwar durch dein Schreiben mitbestimmt, kann aber von dem von dir intendierten Leser ziemlich stark abweichen.
Und wenn ich mich jetzt mal nicht als Schreibenden, sondern als Lesenden sehe?
Intuitiv hast du vielleicht das Gefühl, dass du beim Lesen immer ganz du selbst bleibst, aber ist das tatsächlich so? Mal liest du einen Roman, mal einen literaturwissenschaftlichen Fachtext. Ist das wirklich dasselbe? Oder projizierst du in einen Fantasy-Roman z.B. eine andere Seite von dir als in einen Foucault-Text. Ich vermute mal, letzteren liest du eher durch die gebildete Fachexperten-Brille, suchst nach Bezügen zu anderen Theorien und gehst im Kopf gleich ein paar Anwendungsfälle durch. Beim Fantasy-Roman hingegen identifizierst du dich vielleicht mit dem mutigen Protagonisten, fragst dich, was du in einer solchen Situation tun würdest und weinst wie um einen guten Freund, wenn er es am Ende nicht schaffen sollte, das Böse zu besiegen. Du siehst schon, worauf ich hinaus möchte. Du projizierst eine mentale Version von dir in den jeweiligen Text. Einen intendierten Leser eben. Und der kann – je nach Text – ganz schön unterschiedlich sein.
So und nun zurück zur Persona beim Bloggen. Wenn deine Leser-Erwartung und die Erwartung deiner Leser an den Text nicht harmonieren, weil z.B. deine Persona nicht spezifisch genug ist, so passen der von dir intendierte Leser und der vom Leser intendierte Leser einfach nicht zusammen. Anders ausgedrückt, du erfüllst die Lesererwartung einfach nicht. Darum musst du deine Personas anpassen, sobald du mehr Infos über deine tatsächlichen Leser hast. Denn je näher die intendierten Leser von dir mit denen deiner Leser übereinstimmen, desto eher kommt es zu einem „ dieser Text ist genau für mich gemacht“-Erlebnis.
Zusammenbringen, was zusammen gehört und wozu das gut ist
Nun fragst du dich bestimmt – und das zu Recht – warum ich die beiden Konzepte der Persona und des intendierten Lesers hier einfach zusammen schmeiße. Nun erstens natürlich, weil ich denke, dass sie einfach, nur aus zwei Perspektiven betrachtet, für ein ähnliches Phänomen stehen. Wichtiger ist mir aber zu zeigen, dass Bloggen nichts sein muss, was per se eher in den Bereich des Marketings als in den der Geisteswissenschaften gehört. Das Persona-Konzept liegt dir nicht? Dann betrachte das Ganze ruhig durch deinen gewohnt geisteswissenschaftlichen Blick und nutze z.B. erzähltheoretische Konzepte. Man kann damit ganz ähnliche Effekte erzielen, man muss nur wissen wie. Anders herum können Ansätze aus anderen Disziplinen auch helfen, manch geisteswissenschaftliches Konzept besser zu verstehen. Am besten aber, davon bin ich überzeugt, funktionieren geisteswissenschaftliche Blogs, die einfach das Beste aus beiden Welten vereinen.
[cite]
Bibliografie
- Foucault, M. (2000) ‘Was ist ein Autor?’, in Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam, pp. 198–229.
- Lahn, S. and Meister, J. C. (2016) Einführung in die Erzähltheorie. Stuttgart: Metzler.