Buch-Tipp: Dörte Hansens „Mittagsstunde“ ist friesisch herbe Kost
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Es gibt eine norddeutsche Bier-Werbung, in der zwei Männer auf einem Deich sitzen. Nach einer Weile kommt ein Jogger vorbei und sagt „Moin“. Wieder eine Weile später sagt einer der Männer zum anderen „Mann, is hier wat los!“. Diese Werbung drückt für mich persönlich viel von dem aus, was Nordfriesland ausmacht. Und so war ich auch etwas unsicher, als ich – ganz unvoreingenommen – Dörte Hansens „Mittagsstunde“ zur Hand nahm. Ich hatte nicht gewusst, dass es darin um Nordfriesland gehen würde. Aber obwohl sie einen nicht gerade in fremde Welten entführt, zieht die Autorin einen doch in ihren Bann. Darum ist dieses feine kleine Stück Literatur für mich ein absoluter Buch-Tipp.
Wo die Dörfer auf -büll enden und die Mittagsstunde heilig ist
Ein Archäologe, Mitte 50, immer noch in einer alternativen WG und merkwürdig schalen Dreiecksbeziehung gefangen, kehrt in sein Heimatdorf zurück, um seine Großeltern zu pflegen. In seinem Sabbatical. Statt Weltreise also zurück in ein Dorf, das mit -büll endet, wie so viele im Nordwesten Deutschlands. Er kümmert sich aber nicht nur um die über 80-jährigen Großeltern, sondern auch um deren Landgasthof, Kategorie „ach, du Schande“, wie seine Freundin und Mitbewohnerin es ausdrückt. Und natürlich ist dieser Weg zurück für ihn auch ein Weg in die Vergangenheit. Und so durchdenken wir mit ihm seine Kindheit, die Geschichte seiner Mutter und die seiner Großeltern.
Ich muss an dieser Stelle wohl zugeben, dass ich selbst eine halbe Nordfriesin bin. Ich kenne den Landstrich, der in Dörte Hansens „Mittagsstunde“ beschrieben wird, also selbst recht gut aus meiner Kindheit. Und ich kenne auch diesen Menschenschlag, der so wortkarg ist und nach außen oft so kaltherzig wirkt. Ich hätte, ehrlich gesagt, nicht gedacht, dass sich daraus so wunderbare Literatur machen lässt. Übrigens, falls es dich interessiert, wird diese Landschaft auch in der Literaturgeschichte tatsächlich meistens eher vage beschrieben, wie Kathrin Winkler und Kim Seifert herausgefunden haben.
Die Stärke dieses Romans liegt in der Stärke der Figuren
Aber Dörte Hansen ist es gelungen, das Besondere an ihren Figuren herauszuarbeiten. Dadurch bringt sie sie uns ganz, ganz nahe. Den stoischen Ingwer Feddersen vor allem, dem es als einem von zwei Kindern seines Jahrgangs gelungen ist, eine höhere Schule zu besuchen; ein Protagonist, der sich scheinbar von gar nichts aus der Ruhe bringen lässt. Aber schließlich hat er auch buchstäblich mit der Muttermilch eingesogen, dass Schweigen meistens die beste Lösung ist. Denn wenn man auch redet, hinterm Rücken, und wenn man auch jedem Dorfbewohner einen fiesen Spitznamen gibt, am Ende des Tages halten doch die Menschen, die „Moin“ sagen zusammen gegen die, die nicht grüßen. Auf diese Weise wird in diesem Dorf erstaunlich viel geduldet. Was alles, mag ich dir hier gar nicht erzählen, denn es nimmt dem Roman seine Wendungen und die sollst du ja unbedingt selbst noch erkunden.
Ein Land, das ebenso geduldig scheint wie die Menschen, die dort leben
Aber es gibt nicht nur die Menschen in Dörte Hansens „Mittagsstunde“. Es gibt natürlich auch das Land. Das schildert Hansen als so durchdrungen von Naturgeschichte, dass man sich beim Lesen wundert, dass es nicht noch mehr Archäologen hervorgebracht hat als Ingwer Feddersen. Die Landschaft ist so geduldig wie die Menschen. Es braucht schon eine Eiszeit, um sie zu formen. Und so ist sie auch geprägt vom Meer und den Steinchen, die man dort findet. Es gibt Findlinge und Hühnengräber. Es gibt uralte Bäume und es gibt Landwirtschaft, die sich nur langsam an modernere Zeiten gewöhnt. Naja, um ehrlich zu sein, scheitern die meisten Bauern an der Umgewöhnung.
Ein ehrliches, ein starkes Buch!
Wenn man Dörte Hansens „Mittagsstunde“ einordnen möchte, so passt sie wohl am ehesten zur gegenwärtigen Heimat-Literatur. Sie setzt sich so intensiv mit dem Landstrich Nordfriesland, aber vor allem auch mit seinen Menschen und den gesellschaftlichen Strukturen auseinander. Dabei gelingt es ihr irgendwie, nie auf Stereotype zurück zu greifen. Und anders als man es beim Label „Heimat-Roman“ vielleicht erwarten würde, hat ihr Buch auch nichts Verstaubtes oder – noch schlimmer – Ideologisches. Es ist einfach eine ehrliche Geschichte. So ehrlich, dass man sich ihr gar nicht entziehen kann. Und warum sollte man auch?
Dörte Hansen: Mittagsstunde. Random House, 2018: 978-3-328-60003-9