„Hannah Arendt“ – eine Filmkritik und Nachdenken über das Böse
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Hannah Arendt war zwar zu ihren Lebzeiten eine etwas umstrittene Philosophin aber heute gilt sie doch als große Denkerin. Sie war die Geliebte von Martin Heidegger und schrieb ihm sogar dann noch Briefe als sie bereits getrennt waren und sie sich im Exil befand. Weil sie Jüdin war. Und er in die NSDAP eingetreten, weil er sonst nicht lehren durfte. Hannah Arendt hat wie keine andere über das Böse nachgedacht, denn sie hat erkannt, wie banal es eigentlich ist. Nun habe ich ihre Filmografie von Margarethe von Trotta gesehen. Ein toller Film mit einer großartigen Barbara Sukowa in der Hauptrolle.
Hannah Arendt lebt bereits seit 20 Jahren im amerikanischen Exil, als eine Nachricht sie in ihre deutsche Vergangenheit zurück wirft. Der Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann wurde in Südamerika gefasst und nach Israel ausgeliefert. Die Philosophin weiß sofort, dass sie beim Prozess gegen Eichmann dabei sein muss. Denn sie möchte dem organisierten Bösen auf die Spur zu kommen. Schließlich hatte es auch ihr Leben einst bedroht. Sie bietet dem „New Yorker“ an, einen Bericht über den Prozess zu verfassen und die Zeitschrift sagt zu. Was Hannah Arendt im Folgenden bezeugen wird, erschüttert sie zutiefst. Alles ist ganz anders, als sie selbst es erwartet hatte.
Der Mörder ist kein Monster
Der Angeklagte, dem Hannah Arendt begegnet, sitzt in einem Glaskasten, der ihn vor der Bevölkerung schützen soll. Er verfolgt die Zeugenaussagen wenig emotional. Er beruft sich darauf, nach damals geltendem Recht nichts Unrechtes getan zu haben. Und er hat Schnupfen. Die Denkerin ist bestürzt von der Mittelmäßigkeit dieses Mannes. Er ist kein Monster, sondern ein Nobody. Doch was ihr viel schlimmer erscheint als Monstrosität klingt für ihre Mitmenschen wie eine Verteidigung des Verbrechers. Hannah Arendt denkt lange nach, bevor sie ihre Ideen aufschreibt. der Skandal, den sie damit verursacht, kostet sie beinahe ihre Arbeit als Professorin und – was für sie schlimmer ist – einige ihrer engsten Freunde. Obwohl sie versucht, ihre Gefühle hinter die Wahrheit in ihren Worten zu stellen, betrübt sie die Situation sehr.
Ich muss sagen, dass diese spannungsgeladenen Szenen von Barbara Sukowa hervorragend gespielt werden. Besonders berührt hat mich ein Satz aus einem berühmten Brief Hannah Arendts, den von Trotta ihre Hauptdarstellerin im Film sagen lässt. Bei aller Kritik, der sie ausgesetzt ist, wirft sie ihren Kritikern vor, ihren einzigen Fehler im Denken nicht bemerkt zu haben. Das Böse sei niemals radikal. Radikalität habe viel zu viel Tiefe und sei darum dem Guten vorbehalten. Das Böse sei höchstens extrem. Ein kleiner Unterschied in der Formulierung, der doch zeigt, dass das Problem des Bösen weiterhin überdacht werden muss. Und auch, dass Begriffe immer wieder zugunsten Besserer ausgetauscht werden sollten.
Das Böse lässt sich nicht in Formeln fassen
Was mich an diesem Film besonders fasziniert hat, ist, dass er die Denkprozesse der Philosophin so klar nachzeichnet. Ohne, dass ich ihre Texte gelesen habe, kann ich nicht beurteilen, ob diese roten Fäden des Denkens korrekt dargestellt sind. Aber sie erfüllen auf jeden Fall die Aufgabe, im Zuschauer Neugier und Lust auf mehr zu wecken. Die interessanteste dieser Denklinien ist eine Art Skalierung des Bösen.
Ausgehend von einer Teufelsgestalt kommt sie zum Teufel in Menschengestalt und schließlich zum Menschen ohne Teufel. Der Teufel ist als Verkörperung all dessen, was als sündig gilt, ein Sinnbild dafür, dass das Böse den niederen Motiven des Menschen entspringt. Habgier gehört dazu, oder Rachsucht oder ein dunkler Trieb. All diese Motive kann Hannah bei Eichmann nicht finden. Er tötet nicht für sich selbst, sondern für die Gesellschaft – so sagt er vor Gericht aus. Kein Eigennutz kann erklären, warum der SS-Mann Teil der Vernichtungsmaschinerie war. Er ist lediglich gehorsam und scheint sogar das eigene Denken auszuschalten, um seine Arbeit zu verrichten. Im Film spricht Hannah immer wieder von seiner „Unfähigkeit zu denken“. Für sie ist dieses gefühllos Böse die radikalste Ausprägung des Phänomens.
Das Böse in der Literatur
Das Nachdenken über das Böse hat mich ganz stark an die Vorbereitung meiner mündlichen Abschlussprüfung erinnert, für die ich mir unter anderem das Thema „Das Teufelsmotiv bei E.T.A. Hoffmann“ gewünscht hatte. Auch bei Hoffmann gibt es verschiedene Betrachtungsweisen des Bösen. Entweder taucht der Teufel selbst auf oder es gibt einen psychologisierten Teufel – den bösen Menschen. Das extreme, kaltherzige Böse, dass Hannah Arendt bei Eichmann erkennt, stellt Hoffmann nicht dar.
Doch er zeigt ein anderes Phänomen und ich frage mich, ob man das auch auf die Ideen anwenden kann, die im Film über Hannah Arendt zur Sprache kommen. Hoffmann zeigt in seinem Roman „Die Elixiere des Teufels“ einen gespaltenen Protagonisten. Er ist innerlich böse und kann mit diesem Trieb nicht fertig werden. Seine Persönlichkeit spaltet sich auf und er entwirft einen anderen, der böse ist, damit er selbst noch die Chance hat, diesen ihm eigenen Charakterzug zu bekämpfen. Man muss diesen Gedanken nicht ganz verstehen, um zu sehen, dass Hoffmann eine Art der Verarbeitung des Bösen zeigt. Der Protagonist versucht mit seiner Bösartigkeit klarzukommen, indem er einen Teufel erfindet, der die Verantwortung für seine eigene Schuld trägt.
Mit dem Bösen in sich selbst zurecht kommen
Eines der wenigen Dinge, die mir in diesem Film gefehlt haben ist, dass der Verarbeitungsprozess nur eine kleine Rolle spielt. Durch und durch Theoretikerin lässt die Hannah Arendt aus Trottas Film einen Aspekt links liegen, der mir persönlich sehr wichtig zu sein scheint. Zwischen der Tat und dem Prozess sind fast 20 Jahre vergangen. Der Angeklagte Eichmann hatte Zeit, seine Taten zu verarbeiten und mit ihnen klarzukommen. Es gab niemanden, der die Gelegenheit hatte, Eichmann zu fragen, was er da gerade mache, als er seine Tätigkeit ausführte. Keiner hat seine Arbeit hinterfragt, die im Wesentlichen in der Organisation der Deportationen bestand. Die Frage, ob er überhaupt darüber nachdenke, dass er dort Personen in den Tod schicke, wurde nicht gestellt. Und so weiß man auch nicht, ob er während dessen Schuld fühlte, ob er persönliche Antipathien gegen diese Menschen gehabt hat usw.
Das Banale des Bösen oder doch eher Banalisierung?
Das Banale des Bösen, dass im Prozess sichtbar wird – könnte es auch eine Banalisierung des Bösen sein? Könnte z.B. ein Machtgefühl, das während der eigentlichen Arbeit aufkam, nach so vielen Jahren durch die Verarbeitungsweise „Ich habe nur meine Pflicht getan“ verdrängt worden sein? Ich musste beim Nachdenken an das Buch und den gerade neu herausgekommenen Film „Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger“ denken. Auch hier geht es um Formen der Verarbeitung von einer Erfahrung, die das ultimativ Böse in einem „normalen“ Menschen auslöst.
Die Banalität des Bösen zeigt letztendlich auch der Roman „Er ist wieder da“ von Timur Vermes, den ich vor einigen Tagen hier besprochen habe. Hier lässt der Autor seinen Protagonisten Adolf Hitler denken, dass man als Volksvertreter auch Opfer bringen müsse. Er übernimmt in dem Roman von Vermes aus diesem Grund die Verantwortung für das in seinen Augen notwenige Übel der Judenvernichtung. Sowohl bei „Schiffbruch mit Tiger“ als auch in „Er ist wieder da“ wird die Tat des Tötens banalisiert, damit sie verarbeitet werden kann. Natürlich sind dies nur ein paar flüchtige Gedanken. Aber sie haben mich so sehr umgetrieben, dass ich jetzt ganz dringend auf eure Meinungen dazu warte, damit sie noch ein bisschen weitergedacht werden können.
Als Letztes aber nicht zuletzt ein Film über eine beeindruckende Frau
Aus der Film-Biografie Hannah Arendts erfährt man als Zuschauer durch den Film nur Bruchstücke. Sie wird als Schülerin Heideggers gezeigt. Als Intellektuelle in New York und als Professorin. Trotzdem zeigt sich das Bild einer beeindruckenden Frau, die sich stets nur an dem eigenen Urteil orientiert. Dabei neigt sie nie dazu, andere zu ver-urteilen. Sie mag Menschen aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften und lässt sich nicht durch Zugehörigkeiten zu bestimmten Kreisen und Gruppen vereinnahmen.
So rational sie in ihrem Denken auch ist, so liebevoll gibt sie sich gegenüber Freunden. Meinungsunterschiede gehören dabei zu der Toleranz, die man Freunden gegenüber aufzeigen muss. Der raue Charme, den der Film ihr gibt, hat mich so fasziniert, dass ich gleich mehr über sie erfahren wollte. Auf Youtube habe ich bereits ein paar Interviews und Dokumentationen gefunden, die einige persönliche Eindrücke von der Theoretikerin mit der obligatorischen Zigarette geben. Hochinteressant!
Was meint ihr dazu?
4 Kommentare
Melissa
Das war ein wirklich toller, informativer Artikel. Ich denke aber, dass sich die Problemstellung nicht so einfach beantworten lässt. Das Böse hat viele Gesichter. Zum Beispiel Hitler: ein sehr kluger Mann, wenn man sich mal überlegt, wie er das alles angestellt hat. Dann gab es natürlich so Ausführende wie der Angeklagte in dem Film, von dem du sprichst. Das sind die einfachen Menschen, die einfach handeln aus Pflichtbewusstsein, Dummheit oder schlichter GEdankenlosigkeit. Gerade die NS-Zeit ist furchtbar komplex und es gab dort verschwiedene Auswüchse des Bösen.
Generell habe ich manchmal das Gefühl, dass gerade der schlicht Böse, der gefährliche ist. Also so einer wie der Angeklagte. Eben weil er sein Handeln nicht hinterfragt und es aus sehr einfachen Gründen motiviert ist. So etwas wie Schuldbewusstsein, Reue oder ähnliches wird solch ein Mensch nur schwerlich zulassen.
Mareike Höckendorff
Ja, ich glaube du hast Recht. Es gibt so viele Ausprägungen des Bösen, dass man sie gar nicht alle auf einmal erfassen kann. dann gibt es auch noch verschiedene Möglichkeiten, sich dem Phänomen zu nähern – philosophisch, psychologisch, gesellschaftlich usw. Ich denke, dass das, was uns am meisten erschreckt tatsächlich der Normalo ist, der Böses tut. Wenn jemand psychisch krank ist, dann haben wir eine Erklärung für seine Bosheit und unser Weltbild bleibt weitgehend intakt. Wenn aber Mr. XY unbekannt fähig ist, in seinem Alltag Todesbefehle als Broterwerb zu geben, dann rüttelt das unser Weltbild ganz schön auf. Wir ahnen, dass möglicherweise jeder Mensch dazu fähig ist, das Böse als alltäglich zu akzeptieren. Diese Tatsache würde aber das Bild, das wir vom Menschen an sich haben ganz schön hinterfragen. Der Mensch wäre dann unmöglich von Natur aus gut. Er wäre noch nicht einmal von Natur aus böse. Er wäre ein vollkommen unbeschriebenes und unberechenbares Blatt. Noch dazu können Menschen, die in einer Situation rechtschaffen und gut waren, dann in der nächsten Situation Böses tun, da sich die "Rechtschaffenheit" an sich verändert hat. Der Mensch wäre demnach von Natur aus Opportunist und damit wohl kaum die Krone der Schöpfung…
Ja, ich kann schon verstehen, dass es Forscher gibt, die sich ein Leben lang mit diesem Thema auseinandersetzen – man kann einfach stundenlang darüber nachdenken. Und dann kann man sich natürlich auch noch wieder fragen, warum gerade das Böse so eine eigenartige Faszination birgt. Wieso lesen Menschen z.B. so gern von Serienkillern und finden das auch noch entspannend? Ich als leidenschaftliche Krimileserin kann diese Frage nicht wirklich beantworten, aber interessant ist sie schon.
isa09
So ein Mist, jetzt hatte ich gerade so einen schönen langen Kommentar geschrieben und habe ihn durch eine unglückliche Tastenkombi wieder gelöscht. Also, auf ein Neues.
Der Artikel greift ein wirklich spannendes Thema auf, über das sich vermutlich ewig diskutieren lässt. Was "das Böse" und was "das Gute" ist, ist nämlich auch immer eine Frage der Perspektive. Und eine Frage der Moralvorstellung. Heiligt der Zweck die Mittel, ist es also nur das Ergebnis, das zählt? Sprich, wenn ich mit der Absicht, einem Menschen zu schaden, anderen Menschen das Leben rette, ist das dann gut oder böse? Und kann es nicht vielleicht auch beides gleichzeitig sein? Gut für die Menschen, die ich gerettet habe, böse für den, dem ich geschadet habe?
Wie ist das mit dem Fanatismus? Der entspringt zumeist den besten Absichten und führt zu bösen Taten. Ob ich einen Völkermord nun in der Überzeugung begehe, damit mehr Platz für eine "Herrenrasse" zu schaffen oder weil ich sicher bin, dass irgendein Gott das so will, ändert nichts daran, dass es ein Völkermord ist.
Oder ist das Ergebnis letzten Endes egal und es zählt nur, welche Absicht dahintersteckt? Lassen sich denn Absichten überhaupt objektiv als "gut" oder "böse" definieren, wie Kant das mit seinem kategorischen Imperativ sich ausklamüsert hat?
Oder muss beides stimmen? Gute Absichten, die zu guten Ergebnissen führen, sind gut? Böse Absichten, die zu bösen Ergebnissen führen, sind böse? Aber wer ist denn schon so eindimensional wie ein Bösewicht oder Superheld aus einem patriotischen Superheldencomic?
Ein interessantes Beispiel für die Banalität des Bösen ist die Fernsehserie "Breaking Bad". Ein Durchschnittstyp, Walter White, Chemielehrer, chronisch klamm und langweilig, bekommt eines Tages zufällig Lungenkrebs. Im Angesicht des Todes und im Bestreben, seiner Familie ein Erbe zu hinterlassen, nutzt er seine Chemiekenntnisse, um Methamphetamin zu kochen. Und mit der Zeit findet er Gefallen daran, Macht auszuüben und seine Taten werden moralisch immer fragwürdiger, ebenso seine Motive.
Was ich nicht verstehe, ist der Unterschied zwischen "extrem" und "radikal", das sind für mich Synonyme. Extreme Situationen können einen Menschen radikalisieren (wie das Beispiel Walter White zeigt), gute und beste Absichten werden durch Radikalität ins Extreme gekippt und führen mit diesem Fanatismus zu bösen Taten.
Mareike Höckendorff
Hm, der Unterschied zwischen Radikalität und Extremismus ist vielleicht auch in der Zeit besser fassbar gewesen als Hannah Arendt diese Unterscheidung gemacht hat. Ich glaube, was sie sagen wollte ist, dass wenn jemand radikal ist, dann hat er ein Anliegen, das meistens mit einer Emotion verbunden ist. Ein Extrem ist hingegen eine neutrale Ausprägung und beschreibt darum besser die emotionale Entlehrung des Bösen, die Arendt bei Eichmann beobachtet. So habe ich das zumindest verstanden. Vor allem durch die Extremismus-Debatte heute hat sich die Begrifflichkeit aber natürlich auch verändert.
Den Aspekt mit dem Zweck finde ich aber auch total interessant. Der kommt auch in "Er ist wieder da" vor, als der protagonist Adolf Hitler Renate Künast in seiner Show hat. Er versucht ihr zu erklären, dass sie ähnliche Ziele verfolgen würden (die Erhaltung des heimatlichen Lebensraums z.B.). Sie hält dagegen, dass sie aber unterschiedliche Zwecke damit verfolgen würden. Daraufhin erwiedert Hitler wieder, ob man ein Ziel fallenlassensollte, wenn einem das Motiv nicht gefalle. Das trifft genau den Kern dessen, was du beschreibst. Sollte man etwas Böses tun, wenn man dadurch Gutes bewirken kann? Sollte man etwas Gutes nicht tun, weil man weiß, dass damit auch Voraussetzungen für Böses geschaffen werden? Auf das Künast-Beispiel bezogen hieße das, dass man Lebensraum nicht erhalten sollte, weil es sein kann, dass jemand ihn dazu missbraucht, sein Herrschaftsgebiet auszuweiten.
Ja, Superhelden und Superbösewichte sind auf jeden Fall komfortabler. Sie lassen sich gut einordnen. Wenn aber Böses und Normalität zusammentreffen, dann wird es schwierig, klare Zuordnungen zu treffen. Moralisch bedeutet das auch, dass man selbst – ganz im Sinne Kants, wie du ja auch sagst – jedes Mal überlegen muss, ob eine Handlung gut oder böse, ob Motive richtig oder falsch sind.